: Madrider Szenen
BUCHTIPP Madrid putzt sich heraus. Ein Roman führt ins ungeschönte Innenleben der Metropole
VON EDITH KRESTA
Designerhotels wie das Urban nahe der Prachtstraße Gran Via mit seiner ausgefallenen Ethno-Kunstsammlung oder das Hotel Puerta de America auf der Ausfallstraße zum Flughafen: Madrid prunkt mit Avantgarde-Architektur. Renommierte Kreative von Zaha Hadid bis David Chipperfield haben Etagen des Hotels Puerta de America gestaltet. Richard Rogers baute den luftigen, neuen Flughafen, den Terminal 4. Und die Türme in der alten Sportstadt von Real Madrid planten Stararchitekten wie Sir Norman Forster und Alvarez Sala. Die alltagstaugliche Markthalle von San Miguel mit ihrer Eisenkonstruktion ist heute ein Gourmettempel. Designerläden Madrider Modemacher von Adolfo Dominguez über David Delfin bis Agatha Ruiz de la Prada locken wohlhabende Kundinnen zu den Herbstkollektionen. Und das Schweizer Architektenduo Herzog & Meuro hat die Madrider Museumsmeile mit einem neuen Kunstzentrum in einem ehemaligen Elektrizitätswerk bereichert. Das Ciaxa Forum, wie es heißt, ist wie alle Museen von Prado bis Reina Sofia voll ausgelastet. Bürgermeister Alberto Ruiz Gallardón will die Stadt immer mehr zum strahlenden, touristischen Schaufenster machen. Dafür und weil er die Olympischen Spiele wollte, hat er ihr das ambitionierte Programm M-30 verordnet: die Gehsteige sollen breiter werden, weite Teile des Stadtrings untertunnelt, die Ufer des Flusses Manzanares begrünt und selbst das Fahrrad soll im hektischen Madrid heimisch werden. Die spanische Hauptstadt hat ihre zweite Transición fast hinter sich. Die erste Transición, das war die Übergangsphase vom Franquismus zu einer parlamentarischen Demokratie.
Einen Blick ins Innenleben der Stadt im Übergang der ersten Transición zu dieser zweiten bietet der Roman „Gran Via“ von Peter Richter. Das Madrid des Deutschen, der hier studierte, spielt in den Neunzigerjahren: „Die Jeans von Miss Sixty wurden gerade zu Must-haves“, schreibt er. „Schuhe kaufte man bei Pedro Garcia oder Pura Lopez, Mode bei Carolina Herrera.“ Zumindest die Madrider Oberschicht, auf die sich dieses „man“ bezieht. Man bummelt in der Calle Serrano und wählt in der Regel Partido Popular. Der Ich-Erzähler hält sich jedoch bevorzugt in anderen Ambientes auf: in verrauchten Bars mit Fußballübertragung, in angesagten Salsa-Diskotheken, oder er flaniert vorbei an den Nutten in der Calle de la Ballesta. Der Kunststudent wohnt in einer Wohngemeinschaft mit exaltierten Schwulen, unbefriedigten Nachbarinnen, romantischen Mitbewohnerinnen und einem stattlichen, blonden deutschen Ingenieur. Voll das Leben und Stoff für Verirrungen, Verwirrungen und Lebensdramen. Ein Schelmenroman mit der Dramaturgie des Filmmachers Almodóvar mit überraschenden Frauen und überdrehten Männern.
Auch wenn die Madrider Vorkommnisse manchem spanisch vorkommen mögen: Richters Buch ist ein haarscharfe Annäherung an die Stadt in den Neunzigerjahren mit ihren „zupackenden, kettenrauchenden, krähenstimmigen Carmen und Martas“. Eine Beschreibung ihrer sozialen Biotope diesseits und jenseits der Gran Via wie die Wohngemeinschaft in der Calle del Desengano. Und die Beobachtung der tiefen politische Spaltung in zwei Lager: sozialistische El País- Leser und ABC lesende Anhänger der rechten Partido Popular. Beispielsweise Carlos Sanz. „Er war vielleicht Ende 50 und nicht ganz so übergewichtig, wie es der Beruf des Baulöwen befürchten lassen musste“ – dafür bekennender, einflussreicher Franquist.
Richters Buch ist auch eine Einführung in die robuste Sprache der Madrilenen, wo immer mit vielen Eiern „beigeschlafen wird“, wie es der Protagonist höflich umschreibt. Ein Lebensgefühl zwischen trägem Fatalismus und intelligentem Lebenshunger. Richters Buch ist nebenbei ein szenischer, unterhaltsamer Guide für die Stadt.
■ Peter Richter: „Gran Via – Spanische Vorkommnisse“. Goldmann Verlag München 2009, 318 Seiten, 18,95 Euro