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Als der Bezirk braun wurde

Ausstellung Die Schwartzsche Villa in Steglitz zeigt in der Schau „Abgesägt“, wie die Nazis Kommunalpolitiker verfolgt haben. Die 14 ausgewählten Biografien sollen nicht nur dokumentieren, sondern auch Sensibilität und Empathie wecken

von Verena Krippner

„In Zeiten, in denen Rassisten wieder auf dem Vormarsch sind, soll eine solche Ausstellung auch zu Solidarität und Wachsamkeit anregen.“ Mit diesen Worten eröffnet die Vorsitzende des Aktiven Museums – Faschismus und Widerstand in Berlin e.V., Christine Fischer-Defoy, die Ausstellung „Abgesägt“ am vergangenen Donnerstag. Das Kulturamt Steglitz-Zehlendorf präsentiert darin 14 Biografien, Dokumente und Hintergrundinformationen zu im Nationalsozialismus verfolgten KommunalpolitikerInnen. Die Ergebnisse der Kooperation zwischen Kulturamt und Aktivem Museum zeigt die Galerie Schwartzsche Villa in Berlin-Steglitz. In zwei Räumen sind die Schicksale von 14 PolitikerInnen dargestellt. Schautafeln dokumentieren ihre Entmachtung, gefolgt von Ausgrenzung, rassistischer Schikane bis hin zur Inhaftierung. Die Nationalso­zia­listen handelten willkürlich oder beriefen sich auf selbst geschaffene Gesetze. Ihr perfides Vorgehen zeigen die ausgestellten Entlassungsscheine, Verfügungen oder Vermögenserklärungen.

Einer der Porträtierten ist Otto Morgenstern. Die Nationalsozialisten verfolgen den Bezirksverordneten ab 1933 wegen seiner jüdischen Wurzeln. Der engagierte Lehrer unterrichtet von 1888 bis 1925 in Lichtenfelde Gymnasiasten in Fächern wie Latein, Geschichte, Hebräisch und evangelische Religion. In dieser Zeit ist er stetiges Mitglied der damaligen Deutschen Volkspartei. Der Kommunalpolitiker definiert sich als Christ und Nationalist. Die rassistischen Entwicklungen scheint Morgenstern bis 1935 zu igno­rieren. Doch die fortschreitende Stigmatisierung treibt ihn in die Armut und Einsamkeit. Seine Steglitzer Nachbarn wenden sich von ihm ab.

Deportation nach Theresienstadt

Im Alter von 82 Jahren wird er in das Ghetto Theresienstadt verfrachtet. „Aber als die zwei Männer mit Hund kamen, um ihn abzuholen, erinnere ich mich, dass er auf den Wert seiner Bibliothek hinwies, es sei ihm wichtig, dass die in die richtigen Hände käme. Ich begleitete meinen Onkel zu dem bereitstehenden Wagen – einem offenen Gefährt –, auf dem schon einige alte Menschen saßen“, ist in einem Brief seiner Nichte Christa Morgenstern zu lesen. Wenige Monate nach seiner Deportation stirbt Otto Morgenstern 1942.

Dokumente von Zeitzeugen sind für die Ausstellung „Abgesägt“ von besonderer Bedeutung. Die Aufarbeitung der Biografien war nicht immer einfach. Vieles wurde vernichtet. Nicht zuletzt von den Betroffenen selbst: Wenn Emigration keine Alternative war, blieben Vorsicht und Selbstschutz im Alltag. Auf manchen Ausstellungswänden fehlen die Gesichter zu den Biografien. „Wir hoffen in diesen Fällen, dass ehemalige Nachbarn die Ausstellung besuchen und noch die ein oder andere Fotografie ausgraben“, sagte Heike Stange, wissenschaftliche Mitarbeiterin für Regionalgeschichte.

Die besondere Zusammenarbeit zwischen Nachkommen von Betroffenen, dem Aktiven Museum und Archiven mit dem Kulturamt Steglitz-­Zehlendorf ist in der relativ kleinen Ausstellung gut nachvollziehbar. Entlassungspapiere, ­persönliche Briefe, Bittschriften sind neben Wahldiagrammen von 1920 bis 1933 einsehbar. Persönlich wie auch analytisch ist die Geschichte der verfolgten KommunalpolitikerInnen dargestellt.

„Die Ausstellung soll zu Solidarität und Wachsamkeit anregen“

Mitinitiatorin Christine Fischer-Defoy

Minna Todenhagen ist eine der Verfolgten. Die Mitbegründerin der sozialdemokratischen Arbeiterwohlfahrt (AWO) kommt 1901 im Alter von 21 Jahren nach Berlin und tritt rund zehn Jahre später in die SPD ein. Nach der Machtergreifung durch die Nazis wird die damalige Leiterin des „Hauses Kinderschutz“ in Zehlendorf entlassen. Sie muss zeitweise in Haft und erhält gekürzte Bezüge. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernimmt sie wieder die Leitung der städtischen Einrichtung.Während sie die Folgen des nationalsozialistischen Regimes erst im Jahr 1933 spürt, ergeht es ihrem Parteikollegen Hermann Clajus anders.

Auch seine Biografie thematisiert die Ausstellung. Als SPD-Stadtverordneter leitet er das Strandbad Wannsee. Als es im Sommer 1931 zu judenfeindlichen Aufständen kommt, greift Clajus ein. Das macht ihn zum Feindbild der NSDAP-Anhänger. In der Nacht vor seiner Inhaf­tierung erschießt sich Hermann Clajus mit 51 Jahren. Den Juden wird der Zutritt in das Wannseebad 1937 gesetzlich verboten.

Die Entmachtung von demokratisch gewählten Politikern auf Bezirksebene bildet die brutale Gleichschaltung gut ab. Der Machtanspruch der Nazis war nur durch das Streuen von Hass und Gewalt durchsetzbar. Eines zeigen die Porträts gewiss: Rassismus ist nur dann möglich, wenn eine Gesellschaft ihn zulässt.

Galerie Schwartzsche Villa, bis 30. Dezember 2016; Di. bis So. 10–18 Uhr, Eintritt frei

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