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Vom Studentenrapper zum Staatsfeind

Exil Mohammad Abu Hajar ist politischer Ökonom, Musiker und Aktivist. Für das Festival Uncertain States lieferte der Syrer den Titelsong und spielt dort am Dienstag mit seiner Band Mazzaj and The Raboratory

Homeland wurde zum Soundtrack der diesjährigen Berlin Biennale

von Natalie Mayroth

Seinen ersten Text schrieb Mohammad Abu Hajar als Folge der amerikanischen Besetzung des Iraks, die 2003 begann. Damals wurde er politisiert. „Ich war so davon beeinflusst, als die Menschen aus dem Irak nach Syrien flohen. Ich musste einen Song darüber machen.“ Abu Hajar thematisiert Ehrenmorde, spricht sich gegen die nationalistische Agenda der Assad-Regierung aus, organisiert sich in oppositionellen Gruppen und bei Straßenaktionen. Er ist unangenehm. Vor neun Jahren schloss er sich mit anderen Rappern zusammen, gründet das Kollektiv Mazzaj, was auf Deutsch so viel wie Bewusstseinszustand heißt.

„We Didn’t Start A Revolution To Replace His Boot With You. We Didn’t Start A Revolution To Create A Similar Tyrant“, heißt es in dem Song Homeland. In dem Video dazu, einer Kooperation mit dem türkischen Regisseur Halil Altindere, spielt er sich selbst: einen Geflüchteten, der gegen alles anrappt. „Ich bin von ihm als Persönlichkeit überzeugt“, sagt Johannes Odenthal, der künstlerischer Leiter. Begegnet ist er Mohammad Abu Hajar auf der diesjährigen Biennale, zu dessen Soundtrack Homeland wurde.

Mit Kunst im Ausnahmezustand beschäftigt sich auch das Festival Uncertain States.

Die Erfahrungen von Flucht und Exil, die wir in Europa vor 80 Jahren erlebt haben, trifft auf Positionen von Menschen, die aktuell ihre Heimat verlassen mussten. Archivmaterial vs. Diskussionen und Konzerte – von Kurt Tucholsky bis Mona Hatoum, Mazzaj und gut dreißig anderen zeitgenössischen Positionen des künstlerischen Widerstands. Nach einem Gespräch mit Odenthal griff Abu Hajar den Gedanken auf und schrieb den Song „Uncertain States“, den er mit The Raboratory am 18. Oktober erstmals spielen wird.

Mazzaj ist im Exil aktiv. Abu Hajar kann sich heute freier denn je artikulieren, und die Probleme benennen. Mit seinen ehrlichen, manchmal auch wütenden Texten ist Mazzaj zu einer der radikalsten syrischen Musikgruppen geworden, die zwar in einer kleinen, aber lebendigen Szene ihr Zuhause gefunden haben. „Ich kenne in Berlin vier andere syrische Bands und zwei Chöre“, sagt er. Doch viele würden eher traditionelle Musik spielen. Rap ist für ihn Musik des Widerstands.

Der Takt zu Abu Hajars Sprechgesang wird von Trommelschlägen und Saitenzupfen angegeben, die im Gegensatz zu seiner Stimme butterweich klingen. Seine Energie, aber auch seinen Unmut verpackt Mohammad Abu Hajar in Rap-Texte. „Ich musste in Deutschland von vorne anfangen“, sagt der Musiker. Über den Libanon gelangte er nach Rom, und von dort aus ging es weiter nach Berlin. Wie er das Mittelmeer überwunden hat, hat er nicht erzählt. Und nur eines ist ihm nach der Flucht geblieben: die Musik. „Sie hat mir geholfen weiterzu­machen“, sagt der 29-Jährige. Doch sie war auch der Grund, warum er seine Heimat verlassen musste.

„Eigentlich ist Mazzaj eine Old-School-Rap-Band, aber in Berlin hatten wir die Idee, Mazzaj mehr mit orientalischer Musik zu mischen“, sagt Abu Hajar. Mit seinem neuen Bandprojekt „Mazzaj And The Raboratory“ möchte er Klischees brechen, statt sie zu bedienen. Neben Abu Hajar besteht das Rap-Experiment aus Ahmad Niou, dem Vio­linisten Zaher Alkaei, Alaa Zaitounah, der das arabische Saiteninstrument Oud spielt, und dem Italiener Matteo Di Santis an den Samplern. Ihren ersten gemeinsamen Auftritt hatten sie Anfang des Jahres im Berliner Wohnprojekt Köpi.

„2007 habe ich einen Song gegen die ökonomische Reform in Syrien geschrieben, in dessen Zuge der Ölpreis massiv erhöht wurde. Getroffen hat das die einfache Bevölkerung. Nach nur einem Jahr stieg die Arbeitslosigkeit um 20 Prozent.“ Nachdem der Student den Song veröffentlicht, meldet sich der Geheimdienst bei ihm. Es war das erste Mal, dass er festgenommen wurde. Im März 2012 wurden er und sein Schlagzeuger erneut verhaftet. Sie wurden verbotener politischer Aktivitäten beschuldigt. Nach zwei Monaten im syrischen Gefängnis wollte Abu Hajar nicht riskieren, beim nächsten Mal nicht wieder freigelassen zu werden. Er floh. Nach Berlin folgte ihm 2015 der Sufi-Sänger Ahmad Niou, der sich bereits in Syrien Mazzaj anschloss. Die Rap-Mitglieder Alaa Odeh und Hazem Zghaibe ­blieben in Damaskus und Latakia.

Seine Überzeugung trägt er am Handgelenk: ein schwarz-weiß-grünes Bändchen mit dem Aufdruck „Free Syria“. In Syrien machte er Karriere vom politischen Studentenrapper zum Staatsfeind. Er ist ein Mann mit zwei Seiten: In eine Musikerfamilie hineingeboren, hat er Klavierunterricht genossen, ist weltlich aufgewachsen und besitzt einen Master in politischer Ökonomie; auf der anderen Seite ist er rappender Rebell, organisiert Demonstrationen und spielt mit seiner Band auf Festivals wie der Fusion oder auf Solipartys von Chemnitz bis Köln.

„Ich bin in einer säkularen Gesellschaft aufgewachsen, doch ich habe die Radikalisierung nach dem Irakkrieg erlebt“, erinnert er sich. Seit zwei Jahren lebt Abu Hajar nun in Berlin. Ende 2014 wurde sein Status als politischer Flüchtling anerkannt, er hat einen Job und auch die Liebe gefunden. So unsicher steht es zwar nicht mehr um ihn, doch sich in einem prekären Zustand zu befinden kennt er als Lebensgefühl. „Wir haben unser Land nicht freiwillig verlassen“, sagt er. Ihn lässt es nicht los, was in Syrien passiert. Am 1. Oktober organisierte er deshalb die Demo „Protest for Aleppo Berlin“, bei der Hunderte gegen die Bombenangriffe auf die nordsyrische Stadt protestierten, mit. Irgendwann möchte er nach Syrien zurückkehren, das kündigt er in Homeland an, „auch wenn es lange dauert!“

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