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Maßgeschneidert

Show Eine artistisch aufbereitete Moderevue: „The One Grand Show“ im Friedrichstadtpalast setzt mit den Kostümen von Jean-Paul Gaultier auf vestimentäre Überwältigung – und geizt ein wenig bei der Musik

von Jenni Zylka

Schaumstoffpunker! Das ist keine Beleidigung. Es soll nur konstatiert werden: Die Irozacken stehen hier eindeutig mithilfe von Polypropylen. Auf den Köpfen nebenan dagegen sieht der Iro aus wie ein riesiger, glänzender Fächer. Und daneben wird mit Hüten gewedelt, mit wagemutigen, wagenradgroßen. Aber so schnell wie die Iros, Hüte, Lederkorsagen, Sailor-Dresses und Lurexoutfits die Bühne entern, dort tanzen, voguen, sich inszenieren, so schnell kann man gar nicht gucken.

Soll man auch nicht: Der Ensembleaufritt am Anfang der neuen „One Grand Show“, des 11-Millionen-Euro-Projekts im Friedrichstadtpalast, das wieder unter der Aufsicht des langjährigen Hausregisseurs Roland Welke entstand, ist auf vestimentäre Überwältigung ausgerichtet. (Kostüm-)Designer Jean-Paul Gaultier hat sich seine eigene, mobile Werkschau geschneidert, eine mit Musik untermalte Moderevue, die sich vor allem durch die Biegsamkeit und Körperbeherrschung der Mitglieder von üblichen Shows unterscheidet. Denn welches Haute-Couture-Model kann schon im ­filigranen „Cyr Wheel“ (einem Rhönrad mit nur einem Reifen) auf die Bühne rollen? Oder wild an einer riesigen Schaukel schwingen, die irgendwo oben an der Decke zwischen den Jugendstilgruft-­Dekoelementen befestigt ist? Oder am roten Vertikaltuch auf- und abflitzen, in zig Meter Höhe?!

Ja, es sieht schon rechtschaffen imposant aus, was die kanadische Cyr-Wheel- und Tuch-Artistin Valérie Inertie da mit in die Inszenierung trägt: Die Muskelelfe kennt keine Angst, kein Netz und keine Gesetze der Schwerkraft.

Sie stellt in Welkes Nummernkonzept das „Love Interest“ des Protagonisten dar, eines jungen Manns (Eurovision-Song-Contest-Teilnehmer Roman Lob) in Gaultier-Schottenrock, Lederjacke und Springerstiefeln, der sich verloren durch die Showteile singt. Ab und an trifft er die rothaarige Elfe, aber immer wieder fliegt sie ihm auf die ein oder andere Art in den ­Bühnenhimmel davon. Auch die grazilen Pferdeschwanz-Schaukel­zwillinge, diverse Feuerkünstler und das mal als ­Partyposse, mal als in Neonfarben gewandete Lady-Gaga-Cyberfrösche auftretende Restensemble kann ihm nicht helfen.

Vielleicht ist er auch einfach nur verwirrt. Und versteht nicht so richtig, wie er das nehmen soll: Um „den einen Menschen, der alles für einen ist“ solle es gehen, wurde prophylaktisch vor der Show in einer Durchsage erklärt, aber nicht linear, sondern als lose Ansammlung von Impressionen, dabei irgendwie auch um Toleranz, um Traum und Wirklichkeit – wer das wischiwaschi findet, wer den roten Faden, die Geschichte vermisst, dem fehlt eben das Zirkusgen.

Die anderen jedoch schauen und staunen – über eine schwarz-weiß gestreifte Poledancenummer, ganzkörperbemalte Teufel und eine Art Tarzan in einem Lyra-Luftakrobatik­reifen, dessen graziöses Füßchenstrecken den Dschungelhelden eigenwillig neu interpretiert.

Apropos Füßchen, sehr wichtig: Natürlich hüpft auch die Girl-Reihe auf die Bühne, die für den Berliner essenziell ist. Als die in akkurate Glitzerbodys gekleideten, exakt gleich großen Netzbestrumpften ihre exakt gleich langen Beine exakt gleich in die Luft werfen, gibt es vom eh begeisterten Premierenpublikum am Donnerstagabend den größten Applaus.

Wer das wischiwaschi findet, wer den roten Faden, die Geschichte vermisst, dem fehlt eben das Zirkusgen

Vielleicht ist es auch die kurze Beruhigung, jedenfalls diese Nummer mal zu durchschauen: Mädchen, Federn, Beine – dit kenn wa.

Was wir allerdings nicht so richtig kennen, ist die Musik. Sie wandelt sich von bemüht James-Bondischer „Live and let die“-Fülle zu grässlichstem deutschen Schlager und wieder zurück, und leider auch wieder hin. Immer wieder müssen Lob und die Sängerin Brigitte Oelke „Echos in mein’m Kopf“ oder „Bist du endlich da? Bist du wirklich wahr?“ oder „Steinig war der Weg“ oder „Ich stürze mich ins Meer der Gefahr“ balladieren und „Ungeheuer“ auf „Abenteuer“ reimen.

Und die Instrumentalstücke sind auch nicht besser, sondern irrlichtern zwischen seichten Kylie-Minogue-Dancebeats und mainstreamigen „Sounds“ hin und her – wobei man die Absicht, es anders zu machen, ja durchaus erkennen und goutieren muss. Aber gerade die Girl-Reihe, die nicht zum üblichen Cancan-Geblase, sondern zu Pausen und langsamer Am­bience-Stimmung tanzt, und sich nur ab und an vom Rhythmus aufmischen lassen darf, wirkt dadurch – zumindest musikalisch – eher ein wenig verloren.

Am Ende rumpeln jedoch wieder die Beats, und Gaultiers kühne Träume wackeln noch mal gesammelt auf die Bühne – die skelettartigen Reifrockkleider, der Madonna-Bikini, die Conchita-Wurst-Robe, die Sailor-Thematik – und werden vom glücklichen Designer umarmt. Später gibt es im Foyer Rieslingsekt, Currywurst und einen zwei Quadratmeter großen Kuchen mit „The One“-Foto­tortenaufleger aus Marzipan. Da soll noch mal einer sagen, Berlin sei nicht Las Vegas.

„The One Grand Show“: Friedrichstadtpalast, Friedrichstr. 107. Spieldauer ist bis Mitte 2018 geplant, Tickets ab 19,80 Euro

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