: Die Grenzen des Experiments
In der Akademie der Künste stellten sich 30 Projekte die Frage: Ist Berlin die Hauptstadt der Experimente? Die Antwort: Sie könnte es sein, wenn die Politik nicht nur auf Nummer Sicher ginge
VON UWE RADA
Theoretisch ist alles ganz einfach, meinte Adrienne Goehler, Leiterin des Hauptstadtkulturfonds und kurze Zeit Berliner Kultursenatorin: „Berlin ist die Hauptstadt der prekären Verhältnisse. Wenn man sich vom Ziel der Vollbeschäftigung verabschiedet und vom Fetisch Arbeit lässt, könnte man daraus was machen. Das Potenzial dafür ist da.“
Berlin sucht sich wieder einmal selbst, diesmal in der Akademie der Künste. Die Abteilung Baukunst und Bildende Künste hatte in Zusammenarbeit mit „id22“, dem „Institut für kreative Nachhaltigkeit“, 30 Projekte in den Hanseatenweg eingeladen und die Frage gestellt: Ist Berlin die Hauptstadt der Experimente. Und: „Welche Botschaft kann von Berlin nach der behutsamen Stadterneuerung, dem Stadtforum und den Leitbildern der Berlin-Studie an die Republik gesendet werden?“, wie es der Stadtplaner Peter Zlonicky formulierte.
Eine der Antworten des Tages lautete: Vernetzung von nachhaltigen mit kulturellen Projekten. „Nur so kann man gegen den Ökonomismus und Marktradikalismus Lebens- und Wirtschaftsformen entwickeln, die human und menschenwürdig sind“, sagte die Kulturwissenschaftlerin Hildegard Kurt. Ganz diesem Umdenken verpflichtet, wurden anders als im vergangenen Jahr in der Ufa-Fabrik diesmal nicht nur Wohnprojekte eingeladen, sondern auch Initiativen aus dem Bereich Garten, Kultur, Musik und Interkulturelles.
Weniger kreatives Chaos herrschte dagegen auf dem Felde: Wie halten wir es mit der Politik? Der Appell des Bauökologen Ekhart Hahn, die eigenen Vorstellungen von Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit „an der Politik vorbei zu realisieren“, stieß beim einzigem Vertreter der Verwaltung auf offene Ohren. „Verwaltung ist zu spezialisiert, und die Politik hat sich von visionärem Denken verabschiedet“, meinte Jochen Hucke von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Das einzige, was da bleibt, ist Druck von unten.“
„Nein“, entgegnete Adrienne Goehler und wusste die Mehrheit des Publikums hinter sich, als sie forderte. „Wir dürfen die Politik nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.“ Allerdings, meinte sie, müssten die Projekte „verführerischer“ werden. „Nachhaltigkeit braucht auch eine ästhetische Form, damit sich mehr Menschen damit identifizieren.“
Im rauen Projektealltag hat man dagegen mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. „Zwei Jahre lang haben wir versucht, die Finanzierung für ein leer stehendes Gebäude zusammenzubekommen. Dann hat es der Liegenschaftsfonds plötzlich an einen Investor verkauft“, ärgerte sich eine Projektvertreterin, und der Kommunikationsdesigner Steffen Schuhmann stellte die Zwischennutzungsdebatte insgesamt in Frage: „Das ist das Verteilen von Heftpflastern an Schwerverletzte. Der Liegenschaftsfonds sollte besser zu harten Konditionen seine Grundstücke verschenken.“
Doch die Politik geht vorerst – Ausnahmen bestätigen die Regel – auf Nummer Sicher. Da werden Bebauungspläne aufgestellt als gäbe es keinen Leerstand, und der Liegenschaftsfonds versucht immer noch, seine Immobilien zum Marktwert zu verkaufen. Der von Goehler geforderte Abschied von den lieb gewordenen Illusionen sieht anders aus.
Fazit: Berlin ist experimentell und innovativ, seine Entscheider müssen es erst noch werden. Immerhin hat die Stadtentwicklungsverwaltung versprochen, ihren Teil zur Vernetzung der Best-Practice-Beispiele beizutragen.