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Archiv-Artikel

In der Baden-Baden-Falle

MARATHON Lange Nächte in Brenners Bar: Das Fernsehfilm-Festival Baden-Baden lebt von seiner Kuratmosphäre und den informellen Begegnungen – was die Arbeit der Jury nicht leichter macht. Ein Stimmungsbild

Die Preisträger

■ Die Jury unter dem Vorsitz von Klaudia Wick verlieh den Fernsehfilmpreis an „Haus und Kind“ (BR/Arte) von Andreas Kleinert (Regie) und Wolfgang Kohlhaase (Buch).

■ Der Zuschauerpreis ging an „Frau Böhm sagt Nein“ (WDR), dessen Darstellerinnen Senta Berger und Lavinia Wilson je einen Sonderpreis der Jury gewannen.

■ „Flug in die Nacht – Das Unglück von Überlingen“ (SWR) erhielt den Drehbuchpreis, „Parkour“ (SWR) den Nachwuchspreis MFG-Star.

AUS BADEN-BADEN DAVID DENK

Wie fänden Sie es eigentlich, wenn der Autor dieses Artikels erst mal mildernde Umstände einfordert? Drei Tage lang hat er nämlich auf dem 21. Fernsehfilm-Festival Baden-Baden jeweils vier bis fünf von der Deutschen Akademie für Darstellende Künste nominierte „herausragende Produktionen“ aus dem laufenden Fernsehjahr gesehen. Danach ist er natürlich noch lange nicht ins Bett gegangen, sondern auf irgendeinen Empfang mit vielen wichtigen Leuten aus der Branche, von denen er als Neuling nicht alle erkannt hat, und ist dann noch weitergezogen in die Bar von Brenners Parkhotel, wo einmal im Jahr, immer im Herbst, die Jacken auf dem Boden liegen. Und jetzt, wo alles vorbei ist, ist der Autor müde, würde sooo gern schlafen, muss aber noch einen Text schreiben über ein Festival, das er noch gar nicht richtig verarbeitet hat.

Hätten Sie Mitleid mit dem Autor? Oder würden Sie sich über so viel Selbstreferenzialität ärgern? Hoffentlich Zweiteres. Denn: Das ist sein Job. Ja, ausdrücklich auch das Trinken! Sie wissen schon: Networking.

Ärgerliches Hintertürchen

Der Job der sechsköpfigen Festivaljury ist es wiederum, nach jedem Film aufs Podium zu hüpfen und vor dem Publikum, in dem sich die Branche mit Baden-Badenern und Kurgästen mischt, über das gerade Gesehene zu diskutieren. Eine schwierige Aufgabe – worauf hinzuweisen die Juroren in diesem Jahr nicht müde wurden –, aber so sind nun mal die Regeln. Wobei allerdings weniger die mantrahafte Wiederkehr der Juryvorbemerkung ärgerlich war, sondern das Hintertürchen der Selbstdistanzierung, das sie öffnet: Wenn Ihnen nicht passt, was wir gleich sagen werden, tragen Sie es uns bitte nicht nach. Wir können das besser, können es unter diesen Umständen nur leider nicht so zeigen.

Natürlich muss man auch ein wenig Nachsicht mit der Jury haben: Sie sitzt in der Baden-Baden-Falle. Denn die für alle anderen aus der Branche große Stärke des Festivals, die informelle Begegnung von Filmemachern und Filmemöglichmachern in Kuratmosphäre, schwächt die Jury: Wer selbst Filme macht, überlegt sich gut, was er öffentlich über die Produktionen anderer sagt und was besser im vertrauten Kreis von Brenners Bar bleibt.

Bemerkenswert an den oftmals mit angezogener Handbremse geführten Jurydiskussionen waren allerdings auch die Publikumsreaktionen. Ein eher nebensächlicher, schlichter Satz wie „Dieser Josef Hader – ein toller Schauspieler“ bekam spontanen Szenenapplaus, wogegen der Versuch der Juroren, sich aus ihrer jeweiligen individuellen Perspektive differenziert und daher mitunter auch kleinteilig der Bewertung zu nähern, immer wieder als „Zerreden“ beklagt wurde. Überwältigt wollten sie werden und nicht aufgeklärt.

„Ein seltenes Geschenk“

Martin Enlen, dessen süßlicher, „unseren Müttern und Großmüttern“ gewidmeter Nachkriegsheimatfilm „Ein Dorf schweigt“ von der Jury leider nicht hart genug abgestraft wurde, nannte die Konfrontation mit den Jury- und Publikumsmeinungen „ein seltenes Geschenk“ – ähnlich professionell-dankbar zeigten sich auch die meisten anderen Macher in ihren nicht immer erhellenden Statements. So bleibt es auch mit einigem Abstand rätselhaft, warum Produzentin Gabriela Sperl für „Mogadischu“ die Bezeichnung „Thriller“ durchweg ablehnte.

In der Mittagspause nach „Ein Dorf schweigt“ traf der Autor im Stehimbiss übrigens einen Regiekollegen von Enlen, der lieber nicht mit den Machern essen gegangen ist. Sonst hätte man sich noch vor versammelter Mannschaft outen müssen, was man von dem Film so hält.