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Archiv-Artikel

Der NS-Prozess am Bauzaun

Topographie des Terrors dokumentiert den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. Der begann vor 60 Jahren – in Berlin. Eine Entscheidung über den Topographie-Neubau fällt erst im Januar

VON FRIEDERIKE MEYER

„Ich habe niemals eine Gaskammer, auch nicht in Funktion, gesehen“. Die Stimme von Ernst Kaltenbrunner schnarrt über das Gelände der Topographie des Terrors. Dort, wo einst die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ihr Hauptquartier hatte, kommt seit gestern Abend der ehemalige Chef des NS-Reichssicherheitshauptamts zu Wort.

An 15 Hörstationen können Besucher dort die Rechtfertigung der Angeklagten im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess hören. Mehr als 100 Fotografien und 50 Textdokumente am Bauzaun der Topographie dokumentieren das internationale Gerichtsverfahren, das vor 60 Jahren begann – aber nicht in der fränkischen Stadt, sondern in Berlin, im Kammergerichtsgebäude Schöneberg.

Dort eröffnete der internationale Militärgerichtshof am 18. Oktober 1945 das Strafverfahren gegen 24 führende Nationalsozialisten. Unter anderem gegen Hermann Göring, gegen Rudolf Hess und Joachim von Ribbentrop. Ab November 1945 wurde der Prozess in Nürnberg fortgesetzt, wo er nach 218 Verhandlungstagen mit zwölf Todesurteilen, sieben Gefängnisstrafen und drei Freisprüchen endete.

Die Ausstellung dokumentiert nun die Geschichte des Kriegsverbrecherprozesses. Die Sowjetunion wollte das gesamten Verfahren damals in Berlin durchführen, die Amerikaner allerdings plädierten für einen Ort in der amerikanischen oder britischen Besatzungszone. Man einigte sich auf einen Kompromiss. In Berlin bekam der internationale Strafgerichtshof seinen ständigen Sitz, im Nürnberger Justizpalast lief der Prozess. Die sieben zu Haftstrafen Verurteilten kehrten nach dessen Ende ins Alliierte Kriegsverbrechergefängnis nach Spandau zurück.

Die Ausstellungsmacher wollen auf der Topographie des Terrors einen Überblick über den Verlauf des Prozesses geben und Eindrücke von der Stimmung im Gerichtssaal vermitteln, erklärt Kuratorin Claudia Steur. Ebenso „sollen die Schutzbehauptungen der Angeklagten demaskiert werden“.

Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess war aber nicht nur die große juristische Abrechnung mit dem Nationalsozialismus. Der Internationale Militärgerichtshof wird heute auch als Ausgangspunkt für das neue Völkerrecht gesehen. Sein Statut schlug sich später in den Menschenrechtskonventionen und in den Verfassungen beider deutscher Staaten nieder. Seine Nachwirkungen reichen bis zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag 2002. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass sich mehrere Länder auf einen gemeinsamen Gerichtshof geeinigt hatten.

Über die Zukunft des Ausstellungsgeländes selbst gibt es jedoch noch immer keine Einigung. Knapp ein Jahr nach dem Abriss erster Rohbauteile für eine neue Halle läuft ein weiterer internationaler Wettbewerb. Mit einem Ergebnis wird im Januar gerechnet.

„Die Topographie existiert“, versichert Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung. Auch wenn die aktuelle Ausstellung am Bauzaun aufgehängt werden musste. „Trotz der schwierigen Lage versuchen wir unseren Aufgaben gerecht zu werden“, sagt Steinbach. Für die Topographie sei dies eindeutig die Frage nach den Tätern. Dass die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas derzeit für sehr viel Geld eine Ausstellung zur Wehrmachtsjustiz erarbeite, betrachte er daher mit Skepsis. „Wir müssen aufpassen, dass die Themen nicht durcheinander kommen.“

Die Ausstellung ist bis auf weiteres an der Niederkirchnerstraße 8, Berlin-Mitte, täglich 10 bis 18 Uhr zu sehen. Eintritt frei. Die Broschüre kostet 5 €