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Im Ballsaal der Erinnerung

Tanz Die Balance zwischen dem Kleinen und dem Großen machte etwas vom Zauber von Pina Bausch aus. Sie ist auch in der Ausstellung „Pina Bausch und das Tanztheater“ im Martin-Gropius-Bau gelungen

Ulli Weiss, langjähriger Begleiter, fotografierte diese Probe in der Lichtburg um 1978 Foto: © Pina Bausch Foundation

von Katrin Bettina Müller

Kurz ist das Gras im Frühling. Jo Ann Endicott, eine Charakter-Tänzerin von Pina Bausch von großer Resolutheit, zeigt, wie zwei Finger der rechten Hand, die eben noch Grashalme bildeten, sich zusammenbiegen, das Zeichen für klein. Nüchtern betrachtet sie die vor ihr stehenden Journalisten, erste Besucher eines Warm-ups, das täglich mehrmals in der Ausstellung „Pina Bausch und das Tanztheater“ angeboten wird. Jo Ann Endicott ist etwas erstaunt, was sie statt dieser einfachen Geste alles zu sehen bekommt. Ja, das Kleine ist nicht einfach, die Präzision verlangt Übung. Und noch mehr dann, um kenntlich zu bleiben im Großen, einer langen Parade, in der die vier Zeichen für „Frühling, Sommer, Herbst, Winter“ Schritt für Schritt wiederholt werden.

Klar, das hat was von einer Übung für Kinder. Aber auf einer Leinwand sieht man zugleich, wie beeindruckend, wie witzig es werden kann, wenn die Tänzer von Pina Bausch mit diesen Bewegungen lange Girlanden flechten, dabei ins Publikum flirtend. Warm-up und Film laufen in einem nachgebauten Kinosaal, der „Lichtburg“ aus Wuppertal, in der die Compagnie von Pina Bausch seit Ende der 1970er Jahre jedes Stück zu proben begann. Der Raum gleicht (mit seinen samtverkleideten Wänden, versprengten Stühlen, Tütenlampen, den nostalgischen Kleidern und Schuhen an den Garderobenstangen und einem Klavier) viel mehr einem alten Ballsaal als einem klassischen Ballettsaal. Er atmet den Geist von alten Schlagern, von Swing und Walzer – und einem Gewusel von Menschen, deren Sehnsüchte nicht alle gleich klingen und deren Nöte schon mal aus dem Ruder laufen können. Aber klar, das ist jetzt schon eine Projektion aus der Erinnerung an die Tanzstücke der 2009 gestorbenen Choreografin.

Die Ausstellung, die schon in der Kunsthalle in Bonn zu sehen war, zeigt einen Raum weiter Fotos aus diesem Arbeitsraum, entstanden 1978 bei den Proben zu dem Stück „Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloss, die anderen folgen …“. In Vitrinen liegen lange Listen, Notizen von Pina Bausch, voller Fragen an die Tänzer, voller Ideen, um Situationen herzustellen, um Alltäglichem nachzuspüren. Das war auch eine Methode, um sowohl den klassisch geschulten TänzerInnen als auch SchauspielerInnen einen neuen Zugang zu ihren körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu verschaffen. Teilweise wurde die Stücke zum direkten Protokoll dieser kleinteiligen Forschung nach Bewegungen, Empfinden, Wahrnehmungen.In schwarzweißen Fotografien sieht man sie alle, TänzerInnen, SchauspielerInnen, Pina Bausch und andere aus dem Stab, vor allem beim: Rauchen. Und Auf-dem-Bauch-Liegen. Lesen, In-Sesseln-Lümmeln. Notizen machen, Notizen machen. Kaffee trinken. Und dann eine Serie von Bildern, die dokumentiert, wie aus dem Griff nach der Kaffeetasse und dem Sitzen am Tisch eine getanzte Sequenz wird.

Die Ausstellung wurde konzipiert von der Choreografin und Tanzwissenschaftlerin Miriam Leysner und von Salomon Bausch, der schon als Kind bei den Proben seiner Mutter in der Lichtburg allen zwischen die Beine kroch. Gut ist ihnen gelungen, den Gestus des Beiläufigen und des Bescheidenen zu vermitteln, der die Ästhetik des Tanztheaters von Pina Bausch auszeichnet. Sie sind nicht der Versuchung der Überhöhung erlegen, der Heiligsprechung der Choreografin, nichts wird reliquienartig zelebriert. Und sie haben es geschafft, mit wenig Material klare Schwerpunkte zu setzen.

Sie sind nicht der Versuchung der Überhöhung erlegen, der Heiligsprechung

So sieht man auf sechs großen Inszenierungsfotos von Bettina Stöß, als Leuchtkästen gezeigt, Szenen aus „Vollmond“, die mit Felsen und Wasser, das von den Tänzern in hohen Bogen geschleudert wird, einen Eindruck von einer weiten Bühnenlandschaft erzeugen, vom Einzug der Elemente in den Tanzraum. Und von einer tänzerischen Energie, die wie ein Wirbelwind da hindurchfegt. Und sie verzichten darauf, 45 weitere Stücke ebenso glamourös zu präsentieren. Einen opulenten Superakt gibt es aber doch, eine Collage aus sechs Videoleinwänden, die sehr geschickt mit der Wiederholung und der Variation arbeiten. So sieht man Soli aus unterschiedlichen Stücken nebeneinander, die den auch sehr virtuosen, technisch sehr anspruchsvollen Stil der späten Bausch-Jahre wieder nahebringen. Oder absurde Szenen aus dem Geschlechterkampf, mit unterschiedlichen Darstellern aus verschiedenen Jahren. Oder Szenen voller Schnee. Szenen mit all den durch die Luft getragenen Schönen, die so fliegen dürfen, und Szenen von Engeln, denen das Abheben nicht gelingt.

Und nach kurzer Zeit vor diesem unverschämten und maßlosen Appetizer macht einen das Wissen sehr froh, dass die Compagnie von Pina Bausch die Stücke ja weiter tanzt und im Dezember mit „Palermo Palermo“ auch in Berlin gastiert.

„Pina Bausch und das Tanztheater“, Martin-Gropius-Bau bis 9. 1. 2017. Tgl. außer dienstags kann man nach Anmeldung an einem Warm-Up in der Lichtburg teilnehmen, zudem gibt es Workshops, Konzerte, Gespräche

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