: „Stoibers Weggang wird Stimmung wenden“
Wenn Edmund Stoiber nach Berlin wechselt, dürfte Bayerns Politik sozialer werden, sagt der Autor Michael Stiller
taz: Wie geht es in Bayern weiter, wenn der Autokrat Stoiber nach Berlin geht? Günther Beckstein etwa würde gerne vom Innenressort auf den Ministerpräsidentenstuhl wechseln.
Michael Stiller: Stoiber muss man sicher zugute halten, dass er mit der Amigo-Wirtschaft in Bayern aufgeräumt hat, seit er 1993 an die Macht kam. Und Beckstein hat mir vor ein paar Tagen gesagt, dass er seinen eigenen Stil haben würde – und dass er zugleich ein hunderprozentiger Stoiber-Mann ist. Bei Reformen ist Beckstein beharrlich, aber auch behutsam.
Aus ihren Worten klingt Wertschätzung.
Über Beckstein musste man zeitweise wütend sein, aber es gibt zwei Becksteins. Wenn er Pfarrer wäre, würde er jedem Obdachlosen 50 Euro geben und Asylbewerber bei sich einquartieren.
Mit Beckstein würde also das „S“ wieder in die CSU und nach Bayern zurückkehren?
Er hat eine große Reihe sozialer Mandate, die er auch sehr ernst nimmt. Stoiber hat kein einziges. Und bei den Reformen wäre Beckstein nie soweit gegangen wie Stoiber, der ja das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts um jeden Preis verfolgt.
Neben Beckstein wird auch Staatskanzleichef Erwin Huber als Stoiber-Nachfolger gehandelt – gibt es weitere aussichtsreiche Kandidaten?
Nein, es wird bei den beiden bleiben. Wenn Beckstein auch nach Berlin geht, ist die Nachfolgefrage geregelt.
Sie haben einmal geschrieben: Die Mehrheit der Bayern „mog die CSU ned abwählen“. Bei dieser Bundestagswahl gab's einen Sturz unter die absolute Mehrheit.
Das Ergebnis ist nicht die ganz große Panne. Man kann nicht immer den 50-plus-Standard halten. Ich glaube aber auch, dass der Weggang von Stoiber die Stimmung wieder wenden wird. Denn es ist klar geworden, dass die Bayern zwar die CSU wollen, aber nicht die soziale Kälte, mit der in den letzten Jahren hier regiert wurde.
Bayern ist ein Musterland, sagt Stoiber. Ist er denn auch gescheitert in den letzten Jahren?
Bayern zerfällt in mehrere Teile: Die wirkliche Musterregion München samt Speckgürtel und Lüftlmalerei und einen Hühnerhof, der nicht gezeigt wird, wo Industrien brach liegen und nichts mehr voran geht.
Kann Stoiber dennoch etwas für Deutschland leisten?
Er ist ein kenntnisreicher, disziplinierter Mann, aber man muss abwarten, ob er sich bei Frau Merkel ins Glied einreihen kann. Und er ist tapfer in diesen Tagen. Ich habe ihn noch nie so traurig gesehen. Stoiber hasst Berlin und alles was da kreucht und fleucht: CDU, SPD und Kreuzberg. Er geht nach Berlin wie ein Bub, der auf's Knie gefallen ist und sagt: Tut eh ned weh. Seine eigenen Leute haben ihn da herzlos hinein manövriert, indem sie gesagt haben: Der Parteivorsitzende muss in Berlin sein. Grund ist nicht nur die Bundespolitik, sondern auch die Überzeugung, dass es für Bayern vielleicht besser wäre, wenn es dort wieder anders liefe.
INTERVIEW: MAX HÄGLER