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Literatur im Zeichender Globalisierung

ILB Wirklich international ging es am Wochenende auf dem Internationalen Literaturfestival zu. AutorInnen aus aller Welt sprachen dort über Feminismus, Terror und Tabus

von Annika Glunz

Was bedeutet es, Feministin zu sein in einem gesellschaftlichen Umfeld, das Rechten von Frauen jegliche Daseinsberechtigung abzusprechen scheint? Inwiefern lässt sich Globalisierung als totalitäres System verstehen und welche Rolle spielen darin terroristische Organisationen? Ist Blasphemie eine künstlerische Ausdrucksform?

BesucherInnen des 16. Internationalen Literaturfestivals sahen sich an diesem Wochenende mit diesen und vielen anderen Fragen konfrontiert. Bei hochsommerlichen Temperaturen konnten sie an mehreren Orten in der Stadt diskutieren, sich Ausstellungen ansehen oder AutorInnen beim Lesen zuhören und sich dabei in andere Welten versetzen lassen.

Der Freitagabend stand im Heimathafen Neukölln im Zeichen des Feminismus: Drei Autorinnen berichteten, wie sie sich durch das Schreiben in repressiven, frauenfeindlichen Umgebungen emanzipieren konnten: Deborah Feldman verließ die ultraorthodoxe jüdische Gemeinde in New York, in der sie groß geworden war, Petina Gappah sagte sich los von der kommunistischen Ideologie ihres Heimatlandes Simbabwe, und Taslima Nasrin wurde aufgrund ihres Einsatzes für die Gleichberechtigung von Frauen in ihrer Heimat Bangladesch mehrmals mit dem Tode bedroht.

Ergriffen von den Erzählungen der Autorinnen konnte das junge Publikum nach einer kurzen Pause gleich in die nächste Runde starten: Laurie Penny sollte Auskunft geben über die Lage des Feminismus. Sie tat es auch in einigen Sätzen, lieferte damit jedoch ihren gut informierten ZuhörerInnen nur längst bekannte Phrasen. Immerhin war ihr Gespräch mit der Moderatorin unterhaltsam.

Am Samstag konnten sich BesucherInnen mithilfe eines von Studierenden der UdK produzierten Audio-Guides über den Ku’damm führen lassen. Valeska Gert, Else Lasker-Schüler und Anton Kuh, drei jüdische Berliner KünstlerInnen der 1920er Jahre, erzählten ihren ZuhörerInnen nicht nur etwas über das reichhaltige kulturelle Leben, das hier einmal geherrscht haben muss, sondern auch über ihr Privatleben. Die damalige Zeit wurde so in den Köpfen der vereinzelt und etwas verwirrt durch die Menschenmenge staksenden TeilnehmerInnen unmittelbar präsent.

Der IS verfolgt eine Ideologie, die sich nur mit Gewalt durchsetzen lässt

Auch der Samstagabend bot eine enorme Breite an Themen und Lesungen an verschiedenen Orten der Stadt. Auf der Seitenbühne im Haus der Berliner Festspiele stellte Shumona Sinha – bekannt durch ihren Roman „Erschlagt die Armen!“ – ihr neu erschienenes Buch „Kalkutta“ vor. Sinha, die seit 20 Jahren in Paris lebt, blickt auf ihre politische Vergangenheit in ihrer Heimat Westbengalen zurück und thematisiert Formen gesellschaftlichen Wandels in Indien: „Bei Heiratsentscheidungen zählt nicht mehr nur das möglichst weiße Aussehen, sondern es spielen auch finanzielle Aspekte eine Rolle. Frauen gehen mittlerweile auch arbeiten, vor 20 Jahren durften sie noch nicht einmal das Haus verlassen“, erzählte Sinha.

Auf der Gartenbühne des Hauses der Berliner Festspiele war der Sonntag dem Terrorismus vorbehalten: Gleich vier Veranstaltungen befassten sich mit terroristischen Gruppierungen. Es wurden Ursachen, Methoden, Stärken und Schwächen insbesondere des IS beleuchtet. Mit Blick auf die Vergangenheit sprach der Terrorismusexperte Peter Neumann von verschiedenen „Wellen“, die auch „einfach“ wieder abebben – man müsse im Grunde also nur abwarten. Diese Aussage kritisierte eine Frau im Publikum lautstark als Herunterspielen des Terrors durch den IS zur „Welle“. Ausgehend von der Behauptung, terroristische Organisationen wie der IS seien totalitäre Systeme, da sie eine Ideologie verfolgten, die sich naturgemäß nur mit Gewalt durchsetzen lasse, kam im Laufe der Diskussion die Frage auf, inwiefern dann nicht auch Kapitalismus und Globalisierung sich als Formen totalitärer Systeme ansehen ließen und wie diesen in der Konsequenz begegnet werden könne.

Das Ende des Tages markierte eine Gesprächsrunde mit dem Titel „Die Kunst der Blasphemie“. Marc Trévidic, Richter und Islamexperte aus Frankreich, sprach mit Flemming Rose, damaliger Redakteur der die umstrittenen Mohammed-Karikaturen publizierenden dänischen Zeitung Jyllands Posten, über mögliche, gesetzlich verankerte Grenzen freier Meinungsäußerung und deren gesellschaftliche Folgen: „Es sind immer Menschen, die in bestimmter Weise agieren, nicht die Worte selbst“, befand Rose. „Tabus verhindern eine offene Auseinandersetzung und befördern meist ihr genaues Gegenteil.“ Trévidic fügte hinzu, Blasphemie sei eine Möglichkeit, sich nicht vom Terrorismus terrorisieren zu lassen: „Sicherlich kann Blasphemie Terrorismus provozieren. Aber wenn Sie so wollen, dann ist die größte Blasphemie ohnehin die Demokratie selbst“, so der Richter.

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