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Palästinensische Kommunalwahl ausgesetzt

Gaza & Westjordanland Das Oberste Gericht in Ramallah stoppt Vorbereitungen nach der Suspendierung von Kandidaten

Gaza-Stadt: warten auf den Bus nach Rafah, dem Grenzübergang nach Ägypten Foto: Adel Hana/ap

AUS JERUSALEM Susanne Knaul

Wer darauf gehofft hatte, dass die Wahlen zu den palästinensischen Stadt- und Ortsverwaltungen ein erster Schritt zu allgemeinen Parlamentswahlen sein könnten, wurde schon im Vorfeld enttäuscht. Ob die Wahl wie geplant am 8. Oktober oder überhaupt stattfinden wird, soll das Oberste Gericht in Ramallah im Westjordanland klären.

Ende vergangener Woche entschieden die Richter über ein Aussetzen der Vorbereitungen des Zentralen Wahlkomitees. Zuvor waren mehrere Kandidaten der Fatah im Gazastreifen von einem Gericht in Chan Junis disqualifiziert worden.

Die Kommunalwahl würden die Palästinenser im Gazastreifen zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder an die Urnen rufen. Damals entschied die islamistische Hamas die Parlamentswahlen für sich, scheiterte jedoch an den korrupten Strukturen der Fatah, die das Votum des Volkes missachtete und die Macht nicht abgab. Konsequenz war die politische Spaltung. Die Hamas herrscht heute de facto über den Gazastreifen und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (Fatah) regiert im Westjordanland.

„Es hat keinerlei Absprachen gegeben“, berichtet Hassan Ajesch, Geschichtsprofessor an der Islamischen Universität in Gaza. Er beschreibt sich selbst als „der Hamas zugewandt“, hat aber kein Amt inne. „Die Entscheidung kam von Abbas und wir waren einverstanden.“ Vor vier Jahren boykottierte Hamas die Kommunalwahl. Ajesch räumt ein, dass die Stadtverwaltung von Gaza, der mit Abstand größten palästinensischen Stadt, massive Probleme hat. Das Rathaus hat Schulden in Millionenhöhe und schafft es nicht, für die wichtigsten Dienstleistungen aufzukommen. Die Kommunalwahl gilt als Kräftemessen zwischen den beiden zerstrittenen Parteien Hamas und Fatah. „Die Hamas wünscht sich eine klarere Legitimität“, meint der Historiker.

Dass die Wahlen möglicherweise nicht stattfinden, überrascht Ajesch wenig. Er war von der Zusage der Hamas überrascht gewesen. Die Islamisten starteten umgehend ihre Kampagne. Die in sozialen Netzwerken und in lokalen TV-Sendern verbreiteten Videos zeigen moderne Wohnviertel, saubere Straßen und das von der Türkei gespendete, noch im Bau befindliche Universitätshospital.

„Alles mit Geldern aus dem Ausland finanziert“, schimpft Atef Abu Seif, Fatah-Politiker in Gaza. Die Hamas lanciere eine Schmutzkampagne. In den Spots „vergleichen sie die frühere Fatah-Regierungszeit, wo die Frauen angeblich mit kurzen Röcken durch die Straßen gingen und Männer Alkohol tranken, mit heute, wo bärtige Männer in die Moschee zum Gebet gehen und dann für die Befreiung Palästinas kämpfen.“

Die Fatah macht es nicht anders und konzentriert sich bei ihrer Kampagne gegen die Hamas auf deren Versäumnisse. Unter der Hamas habe es keinen Wiederaufbau gegeben, dafür hohe Steuern und horrende Lebenshaltungskosten. „Das ist noch milde“, meint Abu Seif, der lieber über die „Tausenden Todesopfer und Zigtausende infolge des Krieges körperlich behinderte Menschen“ reden würde. Die Fatah zensiere sich einerseits selbst, zum anderen verhindere die Hamas einen fairen Wahlkampf. Dasselbe werfen die Islamisten der Fatah im Westjordanland vor.

„Wenn ich überhaupt hingehe, dann wähle ich sicher wederdie Hamas nochdie Fatah“

Ali SChahin, Student an der Al-Aksa-Universität in Gaza-Stadt

In Nablus im Norden des Westjordanlandes kündigten politische Parteien aus Protest gegen militante Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und bewaffneten Widerstandsgruppen den Boykott der Wahl an. Vor knapp drei Wochen war Ahmad Halaweh, ein prominenter Anführer der Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden, von palästinensischen Beamten zu Tode geprügelt worden. Auch in Hebron gibt es Probleme innerhalb der Fatah. Präsident Abbas disqualifizierte mehrere Kandidaten, weil sie für andere Listen als die der Fatah antreten wollten.

Die Stimmung unter den Wählern ist wenig euphorisch. Selbst wenn es Wahlen geben sollte, würde der 21-jährige Betriebswirtschaftsstudent Ahmad Mahmud aus Gaza trotzdem niemandem seine Stimme geben. „Das bringt doch nichts“, sagt er. Die Stadtverwaltung würde „allenfalls ihr Gesicht verändern, in ihrem Wesen bliebe sie doch dieselbe“. Mahmud sitzt mit seinem Kommilitonen Ali Schahin vor dem Campus der Al-Aksa-Universität. Auch Schahin interessiert sich kaum für die Kommunalwahlen in Gaza. „Wenn ich überhaupt hingehe, dann wähle ich sicher weder die Hamas noch die Fatah.“

Er ist besorgt, dass sich der Zwist zwischen den beiden Fraktionen verschärfen wird. „Wenn die Hamas gewinnt, wird es noch schlimmer, und wenn die Fatah als stärkere Fraktion aus den Wahlen hervorgeht, gibt es sicher neue Gewalt. Die Macht wird sie nicht bekommen.“

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