piwik no script img

Konzentriert aufs Wesentliche

THEATER Intim Zum Saisonauftakt setzt das Polittbüro mit „Beckett, Beckett, Hacks“ auf Unpopuläres. Aber der Abend mit drei kurzen Einaktern ist unbedingt sehenswert: eindringlicher kann Theater nicht sein

von Robert Matthies

August Strindberg wäre hellauf begeistert gewesen. Denn intimer und eindringlicher kann Schauspiel nicht sein, als es sich am Mittwoch im Polittbüro abgespielt hat. Gerade mal 160 Plätze hatte Strindbergs eigenes „Intimes Theater“ in Stockholm, mit dem sich der Dramatiker 1907 einen langjährigen Traum erfüllt hatte: einen eigenen Spielort, um sich mit kleiner Besetzung und reduzierten Mitteln aufs Wesentliche konzentrieren zu können. Radikal nicht-naturalistisches, antimimetisches Theater schwebte Strindberg vor, das die Kommunikationsunfähigkeit des modernen Menschen vorführen sollte und das Unhaltbare an Welterklärungsmodellen – bestenfalls in Form von Einaktern.

Nur 60 Plätze mehr als Strindbergs „Intimes Theater“ hat das Polittbüro am Steindamm. Am Mittwochabend nun ging es dort noch sehr viel intimer zu, denn gerade mal zehn Plätze waren besetzt, einen Tag einen Tag nach – ungleich beser besuchten – Premiere der neuen Eigenproduktion „Beckett, Beckett, Hacks“. Mangelnden Mut zum Unpopulären lässt sich dem Stück nicht vorwerfen. Tatsächlich ist das, was da unter der Regie von Henning Venske passiert, alles andere als seichte Unterhaltung: auf dem Programm stehen die kurzen Einakter „Ohio Impromptu“ und „Rockaby“ vom späten Samuel Beckett sowie Peter Hacks’Dramolett „Die Höflichkeit der Genies“.

Diese beiden Dramatiker an einem Abend zu spielen, ist ungewöhnlich – geradezu diametral entgegengesetzt scheinen da die Ansätze zu sein: für den Vernunftmenschen Hacks war Beckett letztlich ein Romantiker mit einer „bösartigen Nachricht“. Von Beckett wiederum ist nicht überliefert, dass er sich mit Hacks überhaupt beschäftigt hat.

2008 bereits zurrte das Schauspiel Frankfurt beide einen Abend lang ziemlich beliebig zusammen: Becketts „Das letzte Band“ und Hacks’„Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ gab es zu sehen – warum, hat keinE RezensentIn so wirklich verstanden. Immerhin: Jennifer Minetti habe die Charlotte von Stein ganz resolut gespielt, darauf konnte man sich einigen.

Und mit Minetti, diesmal dem Vater, dem Beckett-Spezialisten Bernhard Minetti, geht es nun auch im Polittbüro los. Regisseur Venske liest zu Beginn aus seinen Erinnerungen vor: 1967 stand im Berliner Schillertheater „Warten auf Godot“ auf dem Spielplan – und Venske war Assistent von Regisseur Deryk Mendel. Den aber ersetzte de facto Beckett selbst, und schuld war Minetti, der einfach nicht wusste, wie er als Wladimir den Baum spielen sollte – also lud man den Autor ein, der dem „überschätzten Großdarsteller“, so Venske, eine einfache Antwort gab: der Baum ist ganz und gar nichts Abstraktes und Rätselhaftes, keine Allegorie – der Baum ist eine Yoga-Figur.

Ganz anders als Hacks’Bild vom Romantiker erscheint Beckett da in Venskes Erinnerungen: als Pragmatiker, präzise, aber unkompliziert. Nur mit Minetti konnte er so wenig anfangen wie Hacks mit Beckett.

So bekommt der Abend, anders als in Frankfurt, eine belastbare Klammer: Wie gehen Beckett und Hacks mit dem Theater um, wie mit „letzten Fragen“, mit Normen und dem drohenden Verlust von Zivilisation? Was erwarten sie vom Schauspieler, und welche Rolle spielt die sprachliche Radikalität?

Geradezu analytisch gelingen vor allem die Beckett-Einakter vor dunklem Schwarz

All das wird beeindruckend konzentriert untersucht und von Tommaso Cacciapuoti, Kai Hufnagel und Yuri Beckers wunderbar eindringlich gespielt. Geradezu analytisch und bemerkenswert kontrastreich gelingen vor allem die Beckett-Einakter vor dunklem Schwarz: Minutiös kann man beim Absterben der Sprache, beim Verschwinden noch der letzten Geste auf kleinste Nuancen achten.

Ganz leicht, aber nicht weniger eindringlich erscheint dagegen Hacks’Spiel um einen absurden Besuch des Physikgenies Albert Einstein beim Geigengenie Yehudi Menuhin; jener möchte diesem seine Hochachtung ausdrücken für die Interpretation von Mendelssohns E-moll-Violinkonzert – dann aber wird Einstein von Menuhins Schwester zur Reparatur einer kaputten Klingel genötigt, er sei ja schließlich Physiker.

Und ganz schwelgerisch endet dann es dann tatsächlich mit Mendelssohn, gespielt vom Geiger Oliver Rau und dem Canea-Quartett. Nur eines kann man am Ende an diesem Abend aussetzen: Dass ihn so wenige gesehen haben. Ändern Sie das doch bitte!

Nächste Vorstellung: So., 11. September, 20 Uhr, Polittbüro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen