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Viel Harmonie, wenig Emotionen

Istaf Beim 75. Leichtathletik-Stadionfest in Berlin feierte Speerwerferin Christina Obergföll ihren Abschied. Auch sonst gab es viel Friede und Freude statt Rivalität bei der nationalen und internationalen Prominenz. Und ein eher braves Berliner Publikum

AUS BERLIN David Joram

Christina Obergföll, die Speerwerferin, genoss ihren Auftritt beim 75. Internationalen Stadionfest (Istaf) in Berlin sichtlich. Versuch Nummer sechs stand an, links und rechts von ihr hatten sich ihre Konkurrentinnen im Spalier aufgestellt, die Offenburgerin genau beobachtend, vor allem aber: applaudierend. Dass einer Mitbewerberin um den Sieg derart gehuldigt wird, kommt dann doch eher selten vor, selbst in der meist sehr kollegialen Speerwurfszene ist dies unüblich.

Zwei Faktoren wirkten allerdings begünstigend. Obergföll, die Weltmeisterin von 2013, schleuderte ihr Wurfgerät zum letzten Mal überhaupt. Und: Das Istaf fand eben nicht in Rio de Janeiro statt, sondern in Berlin. 44.500 Zuschauer im Olympiastadion waren jedenfalls über das perfekt inszenierte Event dermaßen dankbar, dass sie gar nicht anders konnten, als alle Athleten gleichermaßen zu bejubeln.

Nun ja, die Deutschen vielleicht ein bisschen mehr. Die lokalen Helden lieferten aber auch entsprechend, insbesondere Obergföll und ihre männlichen Pendants. Die Abschied nehmende Frau beeindruckte ihre Konkurrenz mit 64,28 Metern, was bei Olympia immerhin die viertbeste Weite gewesen wäre. In Berlin reichte es, um ganz vorne zu landen, „was ich hier nie erwartet hätte“, so Obergföll. „Scheiß drauf und genieß es einfach“, sei ihr Motto gewesen. Unten, auf der blauen Bahn, hatte sie ein paar Tränchen vergossen, sich ein allerletztes Mal verbeugt und eine Ehrenrunde gedreht. Der dritte Istaf-Sieg war der perfekte Schluss nach 15 Jahren Hochleistungssport. Gewonnen hat Obergföll fast alles, den WM-Titel, Bronze und Silber bei Olympia – nur olympisches Gold blieb ihr verwehrt. Das war „nach einem schlechten Jahr“ auch in Rio nicht möglich, wo Obergföll nur auf Platz acht gelandet war. Auch in Berlin schien es erst nicht so zu laufen. Es zwickte im Fuß, zum Startverzicht riet ihr erst der Arzt. Die Achillesferse könne reißen, meinte er, wohingegen Obergföll eher vermutete, der Fußknochen mache Probleme, was weniger schlimm sei. Also wurde kurz vor dem Wettkampf noch mal diskutiert. Die Athletin setzte sich durch und trat an. Letztlich unbeschadet.

Bei den Männern entwickelte sich der Wettbewerb zum nationalen Schaukampf. Ein Speer nach dem nächsten segelte an die 85-Meter-Marke, am Ende landete der von Johannes Vetter am weitesten. Seine 89,57 Meter bedeuteten persönliche Bestleistung. Weil auch Julian Weber (88,29) und Andreas Hoffmann (85,42) glänzten, reichte es für Olympiasieger Thomas Röhler (82,55) nur zum vierten Rang. Ausgefallen war das Duell Harting gegen Harting. Der kleinere Bruder Christoph ließ sich zwar für seinen Olympiasieg im Stadion bejubeln, hatte sich für den Wettkampf aber schon im Vorfeld krank gemeldet.

Die Aufmerksamkeit gehörte Robert Harting also alleine. 63,23 Meter reichten für Platz drei, mehr war nicht drin. Die Fans störte es wenig. Sie bestaunten auch Sieger Lukas Weißhaidinger (66 Meter) aus Österreich gerne oder den polnischen Olympia-Zweiten Piotr Malachowski, der auch in Berlin Zweiter wurde.

Und dann gab es ja noch Caster Semenya, die 800-Meter-Königin, oder Thiago Braz da Silva, jenen brasilianischen Hochspringer, der in Rio den Franzosen Lavillenie besiegt hatte. Unter anderem mit Hilfe des sehr parteiischen Publikums. Das wussten die Berliner Fans natürlich noch, weshalb der Stadionsprecher mahnte: „Wir sind ein faires Publikum, wir pfeifen nicht.“ Nötig wäre dieser Hinweis nicht gewesen. Da Silva erhielt denselben Jubel wie der griechische Sieger Konstadinos ­Filippidis, wie Christina Obergföll und alle anderen. Viel Harmonie, viel Gleichgültigkeit. Ein paar riotische Emotionen hätten da gewiss nicht geschadet.

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