literaturnobelpreise etc.
: Ruf zerstört

Während die Schwedische Akademie in diesem Jahr offenbar besonders heftig diskutiert, wem sie den Literaturnobelpreis verleihen soll – sie ist eine Woche „überfällig“ und hat die Bekanntgabe jetzt für morgen fest angesetzt –, kündigte am Dienstag mit Knut Ahnlund einer der Erlauchten seine Mitarbeit auf. Aus Protest gegen die letztjährige Preisverleihung an Elfriede Jelinek, die den „Ruf auf absehbare Zeit zerstört“ habe: „Der Nobelpreis von 2004 hat nicht nur alle progressiven Kräfte in nicht wiedergutzumachender Weise beschädigt, sondern auch in der Öffentlichkeit eine Konfusion darüber geschaffen, welche Kunstform Literatur denn eigentlich ist.“

Knut Ahnlund, 83-jähriger emeritierter Professor für Nordische Literatur, sitzt seit 1983 in dem achtzehnköpfigen Gremium der Akademie. Allerdings nimmt er wegen Dissonanzen mit verschiedenen Akademiemitgliedern seit 1996 nicht mehr regelmäßig an den Sitzungen teil. So war er auch an Jelineks Wahl nicht aktiv beteiligt. Warum er erst jetzt mit seiner Kritik kommt, begründet Ahnlund damit, dass er sich erst die letzten Monate ausführlich mit Jelinek befasst habe.

In einem Artikel für die Stockholmer Tageszeitung Svenska Dagbladet lässt er kein gutes Haar am Werk der österreichischen Autorin: „Eine monomanisch, eingleisige Verfasserschaft, eine Textmasse, die ohne die Spur einer künstlerischen Strukturierung zusammengeschaufelt ist.“ Ahnlund spricht von „Massenunterhaltung“, die bestens zu den „Realitysoaps mit ihrem übel gelauntem und böswilligen Privatgezänke“ passe.

Jelineks Verlag Rowohlt und denen, die ihre Bücher positiv rezensieren, wirft Ahnlund Verbrauchertäuschung vor: „Elementares Durcheinander wird als ‚Reichtum an Assoziationen‘ verkauft, ein Übermaß an Gräulichkeiten als ‚Freisein von Tabus‘, der sprachliche Zerfall als ‚virtuoses Spiel mit der Sprache‘ oder gar als ‚meisterliche Sprachdeformation‘.“ Dabei sei ihr Werk „arm und dürftig“, weil sie andere Aspekte des Menschen als „Erniedrigung, Unterdrückung, Schändung, Ekel vor sich selbst, Sadismus und Masochismus“ nicht sehe. Vielmehr seien ihre Bücher „Gewaltpornografie“.

Der Zeitpunkt dieses Angriffs unmittelbar vor der Bekanntgabe des Nobelpreises für 2005 bietet Anlass für Spekulationen: Will Ahnlund in Kenntnis des diesjährigen Preisträgers vorab ein Protestsignal setzen? Bekommt womöglich eine nach Ahnlunds Maßstäben erneut „traurige Kuriosität“ den Literaturnobelpreis, Bob Dylan etwa? Andererseits weiß Ahnlund auch von einem „schleichenden Unbehagen“ in der Akademie, das einen Teil der Akademie dazu veranlasst habe, „nach der letztjährigen Katastrophe einen Kandidaten zu suchen, der die Ordnung wieder herstellen soll“. Also alle Fragen wieder offen, morgen, 13 Uhr, wissen wir mehr. REINHARD WOLFF