Signale jenseits der Musik

TÖNE Das Musikfest setzt Akzente auch jenseits der rein ästhetischen Sphäre. Kombiniert mit hochkarätigen Künstlern entfaltet das besondere Wirkung

„Rhythms of Resistance“ nennt Naïssam Jalal ihre Band, mit der sie im Rahmen des Bremer Musikfestes nun im BLG-Forum auftrat. Die syrisch-stämmige Flötistin sparte dabei ebenso wenig an klaren Statements – etwa zur Lage im Land ihrer Eltern – wie der Tenorsaxophonist Kamasi Washington. Der präsentierte auf dem Musikfest ein Werk, das Malcolm X gewidmet ist. Wer meint, dass ein Festival, dessen Intendant Experte für Alte Musik ist, kein Ort für politische Statements sein könne, irrt.

Verurteilter Komponist

Intendant Thomas Albert setzte schon 2014 deutliche Akzente, in dem er „Gezi-Park 3“ als Bremer Auftragswerk prominent im Festival-Programm platzierte. Dienstag Abend wurde mit der Aufführung einer Neufassung von Fazıl Says „Gezi Park 1“ ein weiteres Zeichen gesetzt. Say hat einen Prozess wegen „Blasphemie“ hinter sich, bei dem er zunächst zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. „In der Türkei darf das Stück nicht gespielt werden“, betont Percussionist Martin Grubinger junior auf der Bühne der „Glocke“.

Fliegende Gummigeschosse

Umso wichtiger sei es seinem Ensemble, das Werk, das die Proteste gegen die autoritäre Politik Erdoğans thematisiert, trotzdem aufzuführen. Zu diesem Ensemble gehören Grubingers Frau Ferzan Önder und deren Schwester Ferhan, für die Say „Gezi Park“ schrieb. Grubingers Vater wiederum hat das Orchesterstück für Schlagwerk und zwei Klaviere neu gefasst.

Was dieses „Familienunternehmen“ auf die Bühne bringt, ist also die perkussive Essenz eines Werkes, in dem dem Auditorium ohnehin schon akustische Gummigeschosse um die Ohren fliegen, die Staatsgewalt ihre ganze Brachialität entfaltet. Sie überrollt die anfängliche Entspanntheit, die frühlings- und volksliedgeschwängerte Atmosphäre des Aufbruchs – und mündet wiederum in Stille. Dass die den nächsten Sturm ankündigt, schwingt in den Schluss-Sequenzen des Say'schen Werkes unmissverständlich mit.

Grubinger junior und senior sind seit Jahrzehnten aufeinander eingespielt, ebenso die Önders. Hinzu kommt der hochbegabte bulgarische Percussionist Alexander Georgiev. Was in dieser Konstellation entsteht, lässt sich durchaus mit „Ästhetik des Widerstands“ betiteln.

Fokus Armenien

Wenn heute der armenische Pianist Tigran Hamasyan im BLG-Forum auftritt, wäre es sicher zu einseitig, auch dieses musikalische Ereignis unter politischen Aspekten subsumieren zu wollen. Dennoch ist es ein Signal, dass 100 Jahre nach dem mit deutscher Duldung durchgeführten Völkermord die 15 Jahrhunderte umfassende chorale Tradition Armeniens ausdrücklich gewürdigt wird. Hamasyan tritt zusammen mit dem Yerevan State Chamber Choire auf. Henning Bleyl