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Keine Rührstorys

DOKUS Die dokfilmwoche zeigt den Alltag von Flucht ebenso wie die deutsche Provinz und einen Mutter-Tochter-Dialog

Zwischen Depression und Überschwang: „Starless Dreams“ porträtiert junge Insassinnen einer iranischen Besserungsanstalt Foto: Promo

von Silvia Hallensleben

Filmwissenschaftler und Kuratoren betonen gerne die grundsätzliche Untrennbarkeit fiktionaler und nichtfiktionaler filmischer Formen. Damit haben sie theoretisch recht. Doch im praktischen Umgang mit dem Kino machen die Kategorien einen nützlichen Unterschied. Und viele KinobesucherInnen haben sich mittlerweile gezielt auf dokumentarische Filme kapriziert, auch weil sie dort seltener mit den misslungenen Fantasiegebilden schlechter Drehbuchschreiber gequält werden. Das Berliner Publikum ist dabei in der glücklichen Lage, mit einer bunten, vielgestaltigen Kinolandschaft und diversen Festivals privilegierten (und oft früheren) Zugang zu anderswo schwer erreichbaren randständigeren und kleineren Produktionen zu haben.

Seit vier Jahren dabei ist auch die vom fsk-Kino gemeinsam mit dem Sputnik veranstaltete dokfilmwoche Kreuzberg. Die präsentiert dieses Jahr vierzehn Filme, die bei aller Unterschiedlichkeit der Inhalte und Formen ihre Gemeinsamkeit in der Verweigerung von den derzeit gehypten geschwätzig anbiedernden Erzählstilen finden. Die Stoffe reichen von der großen präapokalyptischen Geste (in Nikolaus Geyrhalters „Homo sapiens“) bis zum konkreten Alltag in Flucht und Krieg („Arlette“ R: Florian Hoffmann), vom mehrschichtig inszenierten historischen Künstler-Briefwechsel (Ruth Beckermanns „Die Geträumten“) bis zur Suche nach einer sinnerfüllten Existenz. Geografisch geht es vom Kottbusser Tor („Miete essen Seele auf“, R: Angelika Levi und Christoph Dreher) über Brandenburg bis nach Fernost.

Besonders bemerkenswert ist ein scheinbar kleiner Film aus dem Iran, der perfekt an die dokumentarischen Hintergrundsettings von Sina Ataeian Denas preisgekrönten Lehrerinnenporträt „Paradise“ aus dem letzten Jahr anknüpft. Denn „Starless Dreams“ (R: Mehrdad Oskouei) erzählt mit erstaunlich intimer Perspektive aus dem Inneren einer iranischen Besserungsanstalt von einer ganzen Gruppe junger Frauen, deren Befindlichkeit zwischen Depression und Überschwang, Trauer und lautstarker Aufsässigkeit schwankt. Dabei wird auch deutlich, dass für Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft eine familienferne Institution nicht immer der schlimmste Ort ist. Das jedenfalls legen das Verhalten der Mädchen und die Berichte aus ihrem von Gewalt geprägten Vorleben nahe. „Der Schmerz tropft von den Wänden“, nennt es eine von ihnen plastisch. Doch der gemeinsame Schlaf- und Esssaal der Anstalt wirkt befreiend weit im Vergleich mit den kafkaesk muster-tapezierten Wohnküchen und Denkfiguren der Brandenburgerinnen, die Friederike Güssefeld besucht hat, und in „Wenn man sie bedauert, können sie schlecht sterben“ zu einem zunehmend klaustrophobischen Film über Stillstand und soziale Hoffnungslosigkeit montiert.

Die Filme verbindet die Verweigerung von anbiedernden Erzählstilen

Fast immer ist gelungener Dokumentarfilm auch Ausein­andersetzung mit historisch geladenen Räumen. Mal fast metaphysisch, wie der Mutter-Tochter-Dialog vor dem Hintergrund der Schoah in Chantal Akermans „No Home Movie“, der aus einer Elegie auf die dahinschwindende Mutter Natalia nach Akermans Tod letzten Oktober auch zu einem Abschiedsgruß der Regisseurin selbst geworden ist. Mal ganz konkret, wie in der dokumentarischen Befreiung eines assoziativ überbesetzten Orts in Jakob Brossmanns „Lampedusa im Winter“, dem großartig gelungenen Gegenstück zu Gianfranco Rosis Berlinale-Gewinner „Fuocoammare“. Denn der junge österreichische Regisseur nimmt seinen Gegenstand so ernst, dass er auf Rührstory und Aufregerbilder ganz verzichtet. Stattdessen geduldige Beobachtungen, bei denen (im Unterschied zu Rosi) auch afrikanische Flüchtlinge zu Wort kommen – und sich statt aufgesetzter Metaphern die konkreten Konflikte von neuen und alteingesessenen Bewohnern aussagemächtig spiegeln.

Natürlich ist auch richtiges Spezialfutter im Programm wie das entschleunigte, kryptische Porträt einer mit begleitendem Rindvieh zu Fuß über deutsche Landstraßen ziehenden jungen Frau („Eva“, R: Melanie Jilg) mit merkwürdig harschem Sound und sanften Himmelsbildern. Enttäuschend dagegen (trotz Widmung an Harun Farocki) „White Coal“ von Georg Tiller, der zwar schon auf viele hochkarätige Festivals gereist ist, für seine siebzig Minuten Laufzeit aber zu wenig Substanz bietet. Oder zu viel Stoff. Denn die Impressionen aus einem riesigen taiwanesischen Kohlekraftwerk könnten gut für sich stehen, wären sie nicht in den Kontext einer in schwarz-weißem 16-mm-Material und historisierenden Einstellungen gedrehten fiktiven Rahmengeschichte auf einem polnischen Kohlenschleppschiff gesetzt: eine prätentiöse Spielerei, die beim Drehen vermutlich Spaß gemacht hat, beim Zuschauen aber bald nur ermüdet.

dokfilmwoche 2016, 1. bis 7. 9.: fsk Kino, Segitzdamm 2 & Sputnik Kino, Hasenheide 54, dokfilmwoche.peripherfilm.de

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