: „Aufs Bauchgefühl verlassen“
PRÄVENTION Eine Hamburger Krankenschwester bietet spezielle Kurse für Notfälle bei Kindern an. Unsicherheit von Eltern birgt Gefahren. Wichtig ist es, Ruhe zu bewahren
von Sebastian Krüger
taz: Frau Kux, Sie bieten spezielle Kurse zur Ersten Hilfe an Kindern an. Welche besonderen Gefahren gibt es bei Kindern?
Juliane Kux: Die Kommunikation ist eine ganz andere. Säuglinge können sich nicht äußern und sagen, wo es weh tut. Unfallprävention ist ein großes Thema. Kinder können vom Wickeltisch fallen oder die Treppe herunterstürzen.
An wen richten sich Ihre Kurse?
Das sind vor allem Mütter und Väter mit ihren Kindern und auch werdende Eltern. Die meisten kommen als Paare. Mittlerweile kommen auch immer mehr Großeltern.
Wie groß ist der Bedarf?
Die Nachfrage ist extrem groß.
Gibt es Unterschiede zwischen den Generationen?
Ja, auf jeden Fall. Einige Großeltern kommen, weil die Eltern ihnen einen Gutschein für einen Kurs geschenkt haben. Sie haben oftmals ein gutes Bauchgefühl und fühlen sich durch die Erziehung ihrer eigenen Kinder sicher. Umso erstaunter sind sie darüber, wie viel sich von damals zu heute verändert hat und wie viel sie noch dazulernen können.
Sind Eltern heute ängstlicher als die Generation davor?
Vielleicht ein wenig. Eltern müssen lernen, sich mehr auf ihr Bauchgefühl zu verlassen. Intuitiv wissen fast alle, was zu tun ist. Sie trauen sich aber häufig nicht, das dann umzusetzen. Viele sind auch durch Freunde oder das Internet verunsichert. Die heutige Generation möchte mehr auf Nummer sicher gehen.
Ist viel Falschwissen verbreitet?
Gerade in der Großelterngeneration kursieren noch viele Ammenmärchen. In der Notfallmedizin verändert sich viel. Beim Nasenbluten gibt es alle paar Jahre neue Richtlinien. Früher wurde geraten, den Kopf in den Nacken zu legen und das Blut herunterzuschlucken. Heute wird empfohlen, den Kopf nach vorne zu lehnen, das Blut herauslaufen zu lassen und den Nacken zu kühlen. Oder bei einem Pseudokruppanfall wurde früher empfohlen, heißen Wasserdampf zu inhalieren. Dabei wirkt frische und kühle Luft schleimhautabschwellend und ist daher besser geeignet.
Mit welchen Sorgen kommen Eltern?
Eltern interessieren sich häufig für Prävention. Kleinere Blessuren und Verletzungen sind im Leben eines Kindes unvermeidbar. Für solche Ereignisse möchten sie gut gewappnet sein und die Erstmaßnahmen erlernen.
Können Eltern auch zu vorsichtig sein?
Man sollte sein Kind nicht in einem sterilen Umfeld großziehen wollen und in Watte packen.
Kinder müssen auch lernen, mal zu fallen. Kleinere Stürze sind häufig nicht zu vermeiden. Ich helfe Eltern dann, die Maßnahmen richtig anzuwenden.
Mit welchen Fragen kommen die Eltern zu Ihnen?
35, ist Krankenschwester und Ausbilderin für Erste Hilfe in Hamburg. Sie hat eine Tochter.www.luettundsafe.
Viel Eltern fragen, wie sie ihr Zuhause sicherer machen können. Eine besondere Gefahr ist Wasser. Das zieht Kinder magisch an. Besonders häufig fragen Eltern nach dem richtigen Verhalten bei verschluckten oder eingeatmeten Fremdkörpern. Es ist ja nicht immer gleich die Wiederbelebung, sondern vor allem kleinere Ereignisse. Wie behandele ich eine Wunde? Was mache ich bei Husten? Eine kleine Verbandslehre ist in meinen Kursen auch immer dabei. Themen bespreche ich auch saisonal bedingt. So geht es im Sommer eher um Insektenstiche, im Winter eher um Erkältungen oder auch Unterkühlung.
Welchen allgemeinen Tipp geben Sie?
Wenn Ruhe bewahren ein Medikament wäre, würde ich es verordnen. Es ist leichter gesagt als getan, aber in einer Notfallsituation ruhig zu bleiben, ist extrem wichtig.
Warum?
Ein beruhigtes Kind ist leichter zu behandeln und es fühlt sich einfach sicherer. Auch das Trösten ist besonders wichtig. Besonders bei eingeatmeten Gegenständen ist es wichtig, das Kind nicht noch mehr in Panik zu versetzen. Die Uniklinik Bonn hat eine sehr gute Kindernotfallbox entwickelt, die ich empfehle. Da ist alles wichtige drin, um für den Fall der Fälle gut gerüstet zu sein. Die Boxen werden in einer Behindertenwerkstatt gepackt und der Erlös geht an die Forschung für Frühgeborene der Uniklinik Bonn.
Wie kamen Sie auf die Idee, Kurse zu geben?
Ich bin examinierte Krankenschwester, Ausbilderin für Erste Hilfe und lebensrettende Sofortmaßnahmen und selbst Mutter einer Tochter. Dazu arbeite ich unter der Woche in einer Kinderarztpraxis in Othmarschen. In meinem Bekanntenkreis habe ich viele Eltern und werdende Mütter kennengelernt, die immer viele Fragen an mich hatten. Für die Eltern ist es schön, dass ich nicht nur medizinisches Wissen mitbringe, sondern auch die emotionale Situation als Mutter kenne. Mein Ziel ist es, das Bauchgefühl der Eltern zu stärken und dass sie sich sicherer fühlen.
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