Stadt testet Carsharing mitten im Quartier: Leihautos statt Parkplätze

Hamburg startet Projekt für dezentrale Carsharing-Plätze. Beworben werden sie über das „Switchh“-Projekt der Hochbahn. Dabei liegen sie nicht an deren Haltestellen

Gezieltes Umsteuern: Hamburgs dezentrales Carsharing-Projekt setzt auf E-Mobile Foto: Arne Dedert/dpa

Eimsbüttel und Ottensen werden Versuchsgebiet: Ab Mai 2017 soll eine unbekannte Zahl Parkplätze verschwinden, beziehungsweise in Carsharing-Stationen verwandelt werden. Und das, obwohl in beiden Vierteln massiv Parkplätze fehlen.

Aber die Politik denkt weiter: „In einigen Jahren wird Hamburg zwei Millionen Einwohner haben – bei einer endlichen Anzahl Parkplätze“, sagt Andreas Rieckhof, Staatsrat der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation. Deshalb will man ab Herbst in einem Pilotprojekt je 300 Ottenser und 300 Eimsbüttler nach ihrem Mobilitätsverhalten fragen: Wie oft und wie regelmäßig nutzen sie welches Verkehrsmittel? Würden sie ihr Auto abschaffen, wenn es ein wohnungsnahes Carsharing-Angebot gäbe?

Letzteres wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Luft- und Lebensqualität und sollte vom rot-grünen Senat längst angeschoben sein. Ist es aber nicht: Die BMW-Group, Mutterkonzern des Carsharing-Anbieters „Drive Now“, hat dem Bürgermeister das Projekt angetragen, und der griff zu. Denn Olaf Scholz (SPD) ist zwar gegen Innenstadt-Fahrverbote, sollten sie aber irgendwann gerichtlich verfügt werden, hätte er früh gehandelt.

Also ließ er BMW und das Karlsruher Institut für Technologie einen Fragebogen erstellen, der die Bedürfnisse der Quartiersbewohner ergründet. „Wir wollen“, sagt BMW-Projektleiter Thiemo Schalk, „die Psychologie dahinter verstehen und maßgeschneiderte Angebote entwickeln.“ Will sagen: Die neuen Carsharing-Stationen werden da eingerichtet, wo viele Interessenten wohnen; wohl bis zu 30 Plätze pro Bezirk. Die Flächen gehen dann an die Hochbahn, die die Stationen einrichten soll.

Car2go hat 770 Autos in Hamburg, aber keine E-Mobile. 131.000 Kunden nutzen das Angebot in der Stadt. Konkrete Zahlen zu den Stadtteilen Eimsbüttel und Ottensen gibt es nicht.

Drive Now stellt in Hamburg 560 Autos. Davon sind 70 E-Mobile. Das Angebot nutzen hier insgesamt 80.000 Kunden – davon 3.200 in Eimsbüttel und 2.000 in Ottensen.

Cambio hat 130 Autos in seiner Hamburger Flotte. E-Mobile gibt es derzeit drei, ab September soll ein viertes dazukommen. Insgesamt nutzen die Fahrzeuge 5.600 Kunden in Hamburg – davon 1.120 in Eimsbüttel und 1.850 in Ottensen.

Die so eruierten Interessenten werden also die ersten Kunden der neuen Carsharing-Stationen sein. Wobei der BMW-Projektleiter das Wort „Kunde“ bewusst vermeidet. Auch Rieckhof betont: „Wir wollen niemanden bevorzugen oder bevormunden.“ Schließlich hätte die Stadt das auch einfach durchziehen können. „Aber wir legen Wert auf Partizipation.“

Das klingt edel, aber eigentlich geht es um ein neues Geschäftsfeld für die Autobauer: Mittelfristig werden sie in vollgeparkten Städten neben dem Verkauf die Autovermietung brauchen. Wie die Kundenbedürfnisse genau beschaffen sind, werden die Interviews des Pilotprojekts ergeben, das Stadt und BMW zahlen. Aber keiner sagt, wie viel das kostet. Und natürlich werde BMW, sagt Sprecher Kai Zöbelin, die Ergebnisse der Stadt, den Mitbewerbern und der Hochbahn geben.

Letztere ist auch über die HVV-Stadtrad-Auto-Kombikarte „Switchh“ mit im Boot. Switchh kooperierte bisher nur mit dem Carsharer „Car2go“. Seit Kurzem gehören aber auch „Drive Now“ und „Cambio“ dazu.

Das ist wichtig, denn die zusätzlichen Plätze in Eimsbüttel und Ottensen sollen an Switchh-Partner gehen. Eigenartig ist, dass die neuen Plätze – entgegen dem Switchh-Konzept – nicht in fußläufiger Nähe zu Hochbahn-Stationen liegen müssen. Aber genau das sei der Ansatz, in die urbanen Quartiere zu kommen, sagt Richard Lemloh, Sprecher der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation: „Auch wenn dies etwas von den Schnellbahnhaltestellen entfernt sein wird, ist das explizit gewünscht.“

Fragt sich also, wer von dem Konstrukt profitiert: Der Anbieter Cambio, der – anders als Drive Now und Car2go – standortbasiert arbeitet und Autos für längere Strecken anbietet, ist froh, an Carsharing-Plätze in den Vierteln zu kommen. Car2go dagegen ist raus. Denn die neuen Stationen werden nur für E-Mobile sein. Car2go betreibt in Hamburg keine und plant das auch nicht.

Für das Pilotprojekt heißt das: Auch wenn die Hochbahn die neuen Carsharing-Plätze „diskriminierungsfrei“ vergeben will, bleiben unter den aktuellen Anbietern nur Cambio und Drive Now. Aber Cambio mit seinen vier E-Mobilen ist für Drive Now keine echte Konkurrenz, sodass vorerst die BMW-Group profitiert, die das Projekt initiierte.

In puncto Ökologie allerdings liegt Cambio vorn, das seine E-Mobil-Ladestationen mit Naturstrom betreibt. „Nur das hat klimapolitisch Sinn“, sagt Carsten Redlich von Cambio. Auch Drive-Now-Sprecher Michael Fischer weiß einen ökologisch vertretbaren Strommix zu schätzen. „Da es aber wenig Ladestationen gibt, sind wir angewiesen auf das, was die Versorger anbieten.“

In Hamburg ist das die stadteigene Hochbahn. Ob sie bei dem Projekt auf Naturstrom drängen wird? Die Frage scheint brisant, denn Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum will sich dazu nicht äußern. Und für die Politiker hat der Strommix keine Priorität. Sie wollen der E-Mobilität Renommee verschaffen und Berührungsängste abbauen. „Car Sharing“, sagt Rieckhof, „ist das Vehikel, um E-Mobilität zu befördern.“

Auch eine mittelfristige Evaluation ist nicht geplant. Ob die neuen Carsharing-Stationen die Zahl der Privatautos gesenkt haben, interessiert den Senat wohl nicht.

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