Zwischen den Rillen
: Mit Anwältin fürs Sampling

The Avalanches: „Wildflower“, XL/Beggars Group/Indigo

Man kommt nicht umhin, über Zeit nachzudenken, beim Hören von „Wildflower“, dem neuen Album des australischen DJ-Trios The Avalanches. Zum einen natürlich, weil seit „Since I Left You“, ihrem ersten und bis dato einzigen Album – von vielen innig geliebt, von hartherzigen Menschen als One-Hit-Wonder abgetan – 16 Jahre vergangen sind. Und die Band, wie man hört, tatsächlich die meiste Zeit davon an neuem Material gebastelt und sich darüber die Haare zerrauft hat.

„Since I left You“ war eine komplett aus Samples (die Rede war von 3.500) gebaute Soundcollage mit viel Popappeal: eine sonnendurchflutete, tiefenentspannte, mit HipHop-Beats unterlegte Nostalgienummer, bei der sich Mama Cass, die Beastie Boys und Kid Creole die Hand reichten. Das Album klang wie der Soundtrack zu einer ver­blichenen Kindheitserinnerung auf Super-8.

Den Begriff „Plunderphonics“, mit dem die Band wegen ihrer extensiven Sample-Technik gerne beschrieben wird, kennen sie selbst, so erklärte Keyboarder und Bassist Tony Di Blasi unlängst im Zeit-Interview, nur dank Wikipedia. Doch als Plünderer können sie sich durchaus wiedererkennen. Trotzdem schwebte ihnen für ihr Folgealbum anfangs etwas anderes vor, ein „wehmütiger Sound“ zwischen Beach Boys und My Bloody Valentine – was aber doch nicht funktionierte. Was letztlich beim zähen Ringen um den perfekten Sound herauskam, ist dem Vorgänger in Textur und Atmosphäre erstaunlich ähnlich. Neu ist, dass The Avalanches auf „Wildflower“ mit Gastsängern arbeiten, ein wirklich ekletizistischer Haufen: Rapper wie Biz Markie and MF Doom sind dabei, aber auch Mercury Rev’s Jonathan Donahues zarte Stimme. Weitere Gäste: Jennifer Herrema, ehemals eine Hälfte von Royal Trux, der Americana-Folkie Father John Misty und der charmante Chaz Bundick aka Toro y Moi, der auf der verträumten Electronica-Disco-Nummer „If I Was A Folkstar“ singt. Die Gäste treten eher diskret in Erscheinung und fügen sich in den Gesamtsound.

Auch für dieses Album hat sich das Trio durch viele Stunden Musik gegraben und zahllose schräge Soundbites aufgetan, etwa das Sample einer Kinderplatte von Komiker Jerry Lewis, das in „The Noisy Eater“ verwurstet wird.

Das kostet Zeit. Und noch ein Aspekt lässt diesen Faktor so zentral für „Wildflower“ erscheinen: Die Avalanches führen noch einmal vor Augen, wie sich Zeitebenen in den kulturellen Praxen unserer Gegenwart immer mehr vermischen und damit auch obsolet werden. Wohl keine technische Möglichkeit hat unserer Verständnis von Kunstproduktion und die Idee von Autorenschaft und Erinnerung so nachhaltig verändert wie das Sampling. Retro ist jedenfalls schon längst kein Schimpfwort mehr.

Neben dem Perfektionismus der Band geschuldeten Deadline-Problemen, war ihre Anwältin, die wohl Beste in diesem Bereich, über Jahre mit der Legalisierung ihrer Samples beschäftigt. Die Band selbst hat Bettelbriefe an Paul Mc Cartney und Yoko Ono geschrieben, um „Come Together“ doch genehmigt zu bekommen – was geklappt hat, heraushören kann man den Song aber nur flüchtig.

Den Begriff „Plunderphonics“, mit dem die Band wegen ihrer extensiven Sample-Technik beschrieben wird, kennen sie, sagte Keyboarder und Bassist Tony Di Blasi unlängst im „Zeit“-Interview, nur dank Wikipedia

Dank all der Verzögerungen sind die Avalanches mit ihrem zweiten Album punktgenau im Nineties-Revival gelandet – was insofern passt, dass ihr Debüt im Jahr 2000 schon damals mehr klang wie Resümee des vergangenen Jahrzehnts als wie etwas wirklich Neues. Retrophänomene bewegen sich offenbar in 20-Jahres-Schleifen. In den 1990ern wurden unter anderem die siebziger Jahre recycelt, die herbeigeredete ravende Gesellschaft träumt so manchen Hippie-Traum weiter.

Entsprechend nannte der britische Guardian „Wildflower“ „a retro hip-hop album about smoking weed“. Oder, möchte man da hinzufügen, „about taking MDMA“. Das Teletubbie-Land ist nie weit weg auf dieser Platte.

Vermisst hat man die Ava­lanches nicht wirklich. Aber es ist schön, dass sie wieder da sind. Stephanie Grimm