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Von sinnfällig bis hinfällig

Impulstanz Wien Mit „Critical Joy“ bereiten der Aktivist und Performer Keith Hennessy und die Sängerin Peaches der Macht der Ohnmacht ein rauschendes Fest

von Uwe Mattheiß

Das Museum hat sich etwas eingefangen. Nichts Schlimmes. Die Aufzüge funktionieren noch, allerdings machen sich zwei knuddelige Reptil-Insekt-Weichtier-Mensch-Mischwesen darin breit. Wer hineinwill in die gläserne Kabine, den grinsen unter Halbmasken Pausbacken und gemalte breite Lippenstriche einfach nur an. No way. Ein Stockwerk tiefer balanciert eine junge Frau zum Mantra „In Zeiten wie diesen“ mit verbundenen Augen mal sinnfällig, mal hinfällig über Dachlatten.

Untertags widmet sich das Wiener Museum Moderner Kunst (mumok) derzeit der Malerei. Die Ausstellung „Painting 2.0“ propagiert mit diesem koketten Titel den Anschluss der Malerei ans Informationszeitalter, sortiert aber im Wesentlichen die Hinterlassenschaft dessen, was und wofür man einmal brannte, fein säuberlich nach formalen, genealogischen, psychologischen Kriterien. Was kann ein Museum heute überhaupt noch tun, außer mit staatlich finanzierter Autorität nachträglich zu approbieren, was der Markt zuvor entschieden hat? Es lässt in lauen Sommernächten, wenn es den Betrieb nicht allzu sehr stört, lebende KünstlerInnen als Heinzelmännchen ins Haus.

Die temporäre Infektion mit unabgeschlossenen Gestaltungsprozessen besorgen zwei GrenzüberschreiterInnen, an deren hybriden Arbeitsformen sich das Schmetterlingssammeln in künftigen Kunst- bzw. Musikwissenschaften schwertun wird. Für das Wiener Impulstanzfestival leiteten – oder soll man sagen – liebten und provozierten der in San Franzisko ansässige Choreograf, Performer und LGBT-Aktivist Keith Hennessy und Musikerin Peaches im mumok einen dreitägigen Workshop.

Der Balou-Bär friert

Hybride Kunst 2.0: Hennessy versucht immer wieder, künstlerische Prozesse vor dem Gerinnen in der Form in soziale Interaktion zu überführen. Gleichwohl macht er keine sich einfach unter den Begriff fügende „engagierte“ Kunst, die Qualität seiner Arbeit besteht gerade darin, dass er die Überbestimmtheit und Mehrdeutigkeit in der politischen Aktion weiterführt. Peaches sprengt hingegen die Möglichkeiten der Identitätskonstruktionen im Pop durch Konzeptkunst.

Wie bei einem guten Festivalkonzert musste man auf die Headlinerin erst einmal warten. Hennessy trat zuvor schon mit eigenen Arbeiten in Erscheinung. Im Keller zeigen Filme ihn etwa im Balou-Bärenkostüm und einer Isolierdecke als Penner in San Francisco. Die Schutzmechanismen des bürgerlichen Individuums gehen über Bord. Auf einem messerscharfen Grat zwischen Pathos und Peinlichkeit gelingt es durch die kindhafte Bärchenpersona, Fragen zu stellen, die die neunmalklugen Erwachsenen längst vergessen haben: Warum leben in den reichsten Städten der Welt immer noch Leute auf der Straße, warum muss man einen halben Monat arbeiten, nur um einem Monat zu wohnen?

Und: Was kann Kunst in drei Tagen leisten? Der Workshop ist einerseits eine denkbar demokratische Form, mit künstlerischem Wissen umzugehen, andererseits das perfekte Instrument für die Kontrollgesellschaft. Man arbeitet nicht mehr, man arbeitet vielmehr an sich. So galt es, im Prozess der Selbst­optimierung ein Moment von Subversion zu implementieren.

Warum leben in den reichsten Städten der Welt immer noch Leute auf der Straße?

Wie sagt man als Guru: Befreie dich vom Guru? Die Adepten spielen erst einmal durch, was sie in der Kunst in Zeiten wie diesen gelernt haben. Das Resultat sind Soli, Kleingruppenarbeiten, Dienstleistungsangebote. Kaum gemeinsame Aktionen oder gar Übernahmefantasien gegenüber der Institution. Im anything goes scheint immaterielle Arbeit ihre eigene Entwertung nur vorangetrieben zu haben. Kritik war gestern, das ist kein Mangel, sondern Tatsachenfeststellung. Ob sich noch einmal ein Weg zurück in die Geschichte öffnet, steht dahin. Kunst kann aber immer noch die Wahrheit sagen, auch wenn die, die lügen, ihre Sprache nicht mehr verstehen.

Wo Macht Vernunft vollends absorbiert hat, kippt jeder weitere Schritt zur Aufklärung in den Mythos. Vom Keller durch das ganze Haus zieht nun eine Workshopschar unterschiedlichster Gender- und Begehrensdeklaration und skandiert „Pussy, Pussy, Cunt!“ als Abwehrzauber gegen die schlechte Wirklichkeit von Patriarchat, Kapital und Zwangsheterosexualität.

Im Blick auf eine pornografisierte Alltagskultur mag es zunächst paradox klingen, aber das rasurtechnisch, ästhetisch oder operativ nicht zugerichtete weibliche Genital scheint darin das letzte Mittel einer subversiven Zeichenkollision zu sein. So strömen die queeren Mänaden von Frau Peaches ins Freie des Museumshofs und zelebrieren in der subtropischen Wiener Sommernacht das laute Mysterienspiel wider die Genitalpanik. In der griechischen Mythologie entblößt sich Baubo, eine Figur aus dem Fruchtbarkeitskult der Göttin Demeter, unter derben Scherzen. Ihr „Bauchgesicht“ wehrt patriarchale Zumutungen ab, Peaches trug es im Kostüm.

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