: Melodrama
Tanzgeschichten Die Choreografin Eszter Salamon, schon oft bei Tanz im August zu sehen, inszeniert eine Begegnung mit „Valda & Gus“, die mit vielen Größen der amerikanischen Avantgarde gearbeitet haben
von Astrid Kaminski
1972, zehn Jahre nach der Gründung des Judson Dance Theatres, das den casual look in die Tanzwelt nachhaltig einführte, sieben Jahre nach ihrem „No-Manifesto“, ein Jahr nach einem Selbstmordversuch, dreht die Tanzheilige des Postmodern, Yvonne Rainer, ihren ersten Featurefilm: „Lives of Performers“, Untertitel: „A Melodrama“. Es geht, im Minimalmodus, um eine Dreiecksgeschichte. 2012 entwickelte die Performerin und Choreografin Eszter Salamon das Dokumentarstück „Melodrama“, in dem sie sich Situationen aus dem Leben einer damals 62-jährigen Namensvetterin aus dem Osten Ungarns aneignet.
Der Begriff Melodram ist in Film wie Theater erst einmal pejorativ besetzt, er klingt mehr nach Herzschmerz als nach dem, wofür er auch stehen kann: Beziehungspsychologie, existenzielle Engführung etc. Wahrscheinlich schwingt daher sowohl bei Rainer als auch bei Salamon eine Portion Ironie mit. Ob das so ist und ob sich Salamon auf Rainer bezieht, wage ich nicht zu fragen, denn Salamon hat offensichtlich Stress und momentan äußerst wenig Sinn für Ironie.
Verbindungen wachsen
Wir treffen uns in der alten Akademie der Künste, wo sie Teil zwei ihrer „Monument“-Reihe (zusammen mit Christophe Wavelet) vorbereitet, der im Rahmen von Tanz im August uraufgeführt wird. Teil eins lief schon zur Eröffnung. Die Kritiken waren eher mäßig. Vielleicht sind sie der Schlechte-Laune-Grund. Die Unfreundlichkeit nötigt zumindest erst einmal Respekt ab. Auf der Bühne rotzig zu sein ist nicht so schwierig, aber persönlich, das ist schon was!
Die erste Frage hilft, in der Rolle zu bleiben: Ob Eszter Salamon vielleicht einen Namensfetischismus pflege? Die Frage bezieht sich auf das „Melodrama“ mit der Namensvetterin – es gibt auch noch ein Vorgängerstück mit sieben weiteren Namensvetterinnen – sowie auf die zwei „Monument“-Stücke, für die sie mit den Tänzer*innen Gus Solomons jr. und Valda Setterfield arbeitet.
Nein, kein Namensfetischismus. Gus hatte sie bereits 2010 hier bei einem Auftritt an der Akademie der Künste gesehen. Sie traf ihn 2014 wieder, als sie ihr Cage-Stück „Dance for Nothing“ im New Yorker MoMA zeigte, und Gus brachte Valda ins Spiel, und Valda kannte sie schon aus einem Yvonne-Rainer-Film. Und weil sie etwas über Alter im Tanz machen wollte, klickte es.
Alter und Tanz ist immer noch eine schwierige Kombination, auch wenn die Verbannungsgrenze sich immer weiter nach oben schiebt. Inzwischen liegt sie im Ballett bei etwa 35, im zeitgenössischen Tanz bei etwa 50. Valda Setterfield ist fast 82 Jahre alt, Solomons jr. 76. Auf der Bühne erscheinen sie zunächst nur mit ihren Stimmen, Greisenstimmen, die Orientierung suchen und sich später, als ihre auf einem Hocker beziehungsweise am Gehstock gesicherten Körper eingeblendet werden, an Erinnerungsgymnastik versuchen. Ist das Ironie auf die Erwartungshaltung an alte Tänzer*innen?
Salamon erzählt deren Geschichte episodisch anhand von Puppentheater, Bewegungsreminiszenzen, Monologen und Dialogduetten. Solomons jr. und Setterfield haben die ganze US-amerikanische Modern-Postmodern-Geschichte mitgetanzt, die letzten echten Dogmenstreite zwischen Martha Graham und Merce Cunningham miterlebt. Setterfield als ursprünglich britische Ballerina, Solomons als erster Schwarzer in einer (post-)modernen Kompanie. US-amerikanische Geschichte streift an den persönlichen Erinnerungen vorbei, vieles nur als kurze Stimulanzen, manches als berührende Anekdoten. Etwa als Setterfield den Choreografen Merce Cunningham zwei Tage vor seinem Tod fragt, ob er eine Spur Begeisterung dafür habe, vor einer Erfahrung zu stehen, die er noch nie gemacht habe. Oder als Solomons jr. sagt, die Depression habe ihm das Leben gerettet, weil er dadurch mehr zu Hause saß, als in der Schwulenszene unterwegs zu sein.
Narrative durchbrechen
Eszter Salamons Interesse an der Autobiografie, der eigenen und der anderer, ist jedoch weniger eine Rekonstruktion von Vergangenheit als eine Forschung daran, wie sich historische Narrative und damit Normen von Repräsentation durchbrechen lassen. „Tanzstil“ oder generell „Stil“ ist für die gebürtige Ungarin, die ihre theatralen Mittel immer wieder neu erfindet, ein Wort, das sie verachtet: als „Teil einer Ideologie“.
Ihr Ansatz ist eine Praxis der Aneignung von unterschiedlichsten Kulturtechniken, um damit Kompositionswerkzeuge für die Zukunft parat zu haben. Die innere Ladung, mit der Salamon sich im Gespräch gegen „nationale Kulturen“, Bildungskanons und die „Diktatur der Identität“ stemmt, ist stark. Die Autobiografie scheint für sie kein Selbstvergewisserungsparcours zu sein.
Eszter Salamon mit Christophe Wavelet, „Monument 0.2: Valda & Gus“, Akademie der Künste am Hanseatenweg, 19. 8., 19 Uhr, 20. + 21. 8., 17 Uhr
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