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Wut zur Lücke

DDRBitte nicht „Gesprächstherapie“ dazu sagen: Am Dienstag gab es im DDR-Museum den Biografie-Workshop „Erzähltes Leben“ zu Erfahrungen aus der Wendezeit, ausgerichtet vom Netzwerk „Dritte Generation Ost“

Erinnerungsstück aus der Wendezeit: das Einstürzende-Neubauten-Album „Haus der Lüger“ Foto: Rough Trade

von Robert Mießner

Die erste Schallplatte, die ich mir wenige Tage nach dem Mauerfall im alten Westberlin kaufte, war „Haus der Lüge“, die damals aktuelle der Einstürzenden Neubauten. Ich schreibe nicht nachträglich an einer Legende, wenn ich sage, dass es ausgerechnet die sein sollte.

Unterwegs war ich mit einem armenischen Freund aus meiner Ostberliner Berufsschule, nach dem Einkauf waren wir mit einem Bekannten von ihm verabredet. Der, auch Armenier, wollte uns die Frontstadt zeigen und fragte zur Begrüßung, was wir denn bis jetzt so gesehen hätten. Den Ku’damm, meinten wir. Worauf er zurückgab: „Vergesst es. Ich zeige euch das Schönste, was Westberlin zu bieten hat. Die Nofretete im Ägyptischen Museum.“ Dem konnten wir nichts entgegensetzen, ich musste warten, bis ich mir mein Souvenir anhören konnte. Die Neubauten und Nofretete, im Nachhinein nicht schlecht.

Warum sage ich das? Diesen Dienstag fand im DDR-Museum in Berlin-Mitte der Biografie-Workshop „Erzähltes Leben“ statt. Ausgerichtet vom Netzwerk „Dritte Generation Ost“, versteht er sich (es wird nicht der letzte gewesen sein) als Forum, auf dem sich die Teilnehmer mit ihren Erfahrungen aus der DDR und der Wendezeit auseinandersetzen können.

„Dritte Generation Ost“ geht auf eine Initiative der Politikwissenschaftlerin Adriana Lettrari zurück, die 2009 nach einer nicht unwesentlichen Lücke in den wiederkehrenden Wendeerzählungen fragte. Zumeist reden Männer, zumeist jene im fortgeschrittenen Alter. Was ist mit denen, deren Kindheit noch in die DDR fiel und die dann nach der Wiedervereinigung aufwuchsen?

Nach einer ersten Konferenz ist 2012 im Ch. Links Verlag der Sammelband „Dritte Generation Ost. Wer wir sind, was wir wollen“ erschienen. Der vom Sammlungsleiter des DDR-Museums, Sören Marotz, und der Sozialpädagogin Juliane Dietrich geleitete Workshop lässt sich als Fortschreibung des Buchs sehen; dass er die beiden Fragen des Titels nicht beantworten konnte (und wohl auch nicht wollte), muss nichts Schlechtes sein.

Die „Dritte Generation Ost“, es gibt sie, und es gibt sie nicht. Der Begriff mag als Gedächtnisstütze funktionieren, einen monolithischen Block bezeichnet er nicht. Dafür sind die Erfahrungen zu unterschiedlich. Die Geburtsjahre, die einen in den Generationsbegriff verweisen, sind schon mal weit gefasst: 1975 bis 1985. Darin eingeschlossen sind jene, die als letzte den Kalten Krieg, die Möglichkeit der plötzlichen Auslöschung, bewusst miterlebt haben, wie auch die, welche die DDR nur als Erzählung aus dem Elternhaus kennen.

Gut, dass dieser Rahmen im Workshop aufgebrochen wurde und auch Ältere teilnahmen. Einer von ihnen berichtete, wie er sich in der DDR als Siebtklässler, er wollte Elektronikbastler werden, blauäugig zur Armee verpflichtete und mit der Realität konfrontiert wurde, nach der Wende beinahe zum Gerichtsvollzieher geworden wäre, die Stelle aber gar nicht erst antrat und in die Bundeswehr ging. Dabei machte er einen gänzlich unmilitärischen Eindruck; er lebt und arbeitet jetzt als Musiker und Netzwerker.

Von einem der Jüngeren war zu hören, dass er auf einer DDR-Originalmaschine produziertes Softeis verkauft und feststellt, wie mit dem Geschmack die Erinnerungen zurückkommen. Ein Moment, fast so wie der Marcel Prousts, als ihm ein in Tee getränkter Keks die Kindheit heraufbeschwor!

Ein Teilnehmer verkauft auf einer DDR-Originalmaschine produziertes Softeis

Leben fand nicht mehr statt

Nicht alle der Erzählungen konnten diesen Ton haben. Eine Teilnehmerin bündelte ihre Wendeerfahrung in dem Satz: „Das Leben, auf das ich vorbereitet war, fand nicht mehr statt.“ Einig waren sich alle, den Abend nicht als Gesprächstherapie verstehen zu wollen.

Zum Programm gehörte auch ein Besuch des gastgebenden DDR-Museums. Und eine Tafel stach dann heraus: Das einzige Mal, da es in der DDR-Volkskammer Gegenstimmen gab, begab sich am 9. März 1972, als 14 CDU-Abgeordnete gegen das Gesetz über den Schwangerschaftsabbruch stimmten. Ein Kommentar erübrigt sich, eine Teilnehmerin zitierte den Kabarettisten Peter Ensikat: „Der Sozialismus ist daran gescheitert, dass er keiner war, der Kapitalismus könnte daran scheitern, dass er wirklich einer ist.“

Ich für meinen Teil ging Anfang Juni diesen Jahres in die Berliner Volksbühne und hörte mir Teho Teardo und Blixa Bargeld an, die im Großen Saal ihre Platte „Nerissimo“ vorstellten. Eines der sehr schönen, kammermusikalisch aufgerauten Kunstlieder darauf heißt „Nirgendheim“. Da Sie wissen, was das im Griechischen meint, wissen Sie auch, dass die letzte Messe nie gesungen sein wird.

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