BuchgestaltungWo erscheint noch mal der abgefahrenste Umschlag dieses Herbstes? Und wer will hip sein? Ein Vergleich deutscher Romancover mit dem Original: All die vielen Möglichkeiten, Leser zu irritieren
von Nina Monecke
Nahaufnahme der linken Gesichtshälfte einer jungen Frau. Auf der Wange ist eine rote Blume aufgemalt. In dem Auge mit stark getuschten Wimpern liegt ein schwermütiger Blick. Das Cover von Emma Clines Debütroman „The Girls“ sticht unter den gegenwärtigen Neuerscheinungen heraus. Augen und Fingerspitzen der stöbernden Kunden in einer Berliner Buchhandlung am Samstagnachmittag bleiben daran hängen.
Es ist auch ein suggestives Cover. Die Frau schaut den Betrachter direkt an, als wollte sie sagen: „Etwas Schreckliches ist passiert. Schlag mich auf und ich erzähle dir davon.“ Evie, die 14-jährige Protagonistin, hat tatsächlich Schlimmes zu erzählen. Kalifornien, 1969: das Jahr, in dem in den USA die Manson-Familie mordete. In eine ähnliche Kommune gerät auch Evie, wo sie sich schnell in einem Sog aus Drogen, Sex und Gewalt verliert. Ihr Blick auf dem Cover ist gut getroffen: Evie ist so unbeholfen und erwartungsvoll, wie man mit 14 nun mal ist. Sie möchte dazugehören, ohne einschätzen zu können, worauf sie sich dabei einlässt.
Googelt man nach dem Originalcover des Romans aus dem US-Verlag Random House, wird man überrascht. Dort erinnert der Buchumschlag an das Kinoplakat des Kultfilms „Almost Famous“, auf dem Bandgroupie Kate Hudson ebenfalls mit Lockenmähne und großer Sonnenbrille zu sehen ist. Mit knalligen Farben und verspieltem Schriftzug betont die US-Version die unbeschwerte Hippiekultur der Sechziger.
Es lohnt sich, diese Cover-Vergleiche anzustellen. Sie geben einen Eindruck davon, wie unterschiedlich sich ein- und dasselbe Buch inszenieren lässt. Wäre „The Girls“ auf Deutsch bei einem hippnessambitionierten Verlag wie, sagen wir, Blumenbar, erschienen, wäre das deutsche Cover dem US-Original sicher ähnlicher gewesen. Das Hanser-Cover aber hält Kontakt zum bildungsbürgerlichen Segment. Und es ist auch inhaltlich abgedeckt. Denn die Hippiekultur gibt dem Roman zwar den Rahmen. Vor allem geht es aber um ein Mädchen, das seinen Platz sucht.
Nicht immer ändert sich mit der Sprache auch die Aufmachung. Jonathan Safran Foers „Hier bin ich“ und Don DeLillos „Null K.“ werden ihr Titelbild behalten. Beide Romane erscheinen im Herbst bei Kiepenheuer & Witsch. Das ambitionierteste und wohl abgefahrenste Cover dieses Herbstes für Han Kangs mit dem Man Booker International Prize ausgezeichneten Roman „Die Vegetarierin“ wurde wiederum umgestaltet. Die Geschichte einer Hausfrau, die beschließt, Fleisch aus ihrem Haus zu verbannen, erscheint Mitte August im Aufbau Verlag. Das deutsche Cover ist mit Orchideen bedeckt. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man ein großes rohes Stück Fleisch, das hervorlugt, Fingerspitzen, ein Auge und eine Zunge anstelle eines Blütenblatts.
Die Protagonistin Yeong-hye will zur Pflanze werden. Ihre Gründe dafür sind düsterer, als es das deutsche Cover vermuten lassen könnte. Denn Yeong-hye verfolgen blutige Albträume. Als Pflanze und durch den Verzicht auf Fleisch hofft sie, der menschlichen Brutalität zu entkommen.
Das Cover des britischen Hogarth-Verlags greift die kafkaeske Verwandlung von Yeong-hye anders auf als die deutsche Version. Der kräftige rote Hintergrund wirkt bedrohlich. Dünne Blumenranken umschlingen die dunkle zierliche Frauenfigur, deren Rumpf in Wurzeln übergeht. Für Seminare über Covergestaltung eine gute Übung: Unterschiedlicher kann man Leserinnen und Leser kaum irritieren.
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