: Migration als Passionsgeschichte
REISEWEGE In seiner Dokumentation „Viacrucis Migrante – Kreuzweg der Migrant_innen“ erzählt der Hamburger Hauke Lorenz von Flüchtlingen in Mexiko. Dort ist demnächst auch der Film zu sehen
von Wilfried Hippen
Manchmal kann man eine Problematik neu und unbelastet bewerten, wenn man darauf schaut, wie sie sich irgendwo anders darstellt. Migration ist schon von der Definition her ein globales Phänomen, es gibt sie nicht nur in Europa und Afrika, sondern etwa auch auf dem amerikanischen Kontinent. Dies wurde zuletzt verstärkt wahrgenommen, weil der Präsidentschaftskandidat Donald Trump damit drohte, eine Mauer zwischen Mexiko und den USA zu errichten – als wäre diese Grenze nicht jetzt schon ein kaum zu überwindendes Hindernis.
Wer von Süden aus in die USA gelangen will, beginnt seine mühsame und gefährliche Reisen meistens sehr viel weiter südlich als in Mexiko. Darüber hat der Hamburger Videojournalist Hauke Lorenz seine erste lange Dokumentation darüber gedreht; „Videojournalist“ deshalb, weil Lorenz selbst sich noch nicht als Filmemacher bezeichnen mag. Entstanden ist „Viacrucis Migrante – Kreuzweg der Migrant_innen“ im Süden Mexikos, nahe der Grenze zu Guatemala. In der kleinen Stadt Tenosique betreibt ein Franziskanermönch eine Herberge für Flüchtlinge, ,„La72“. Lorenz lässt einige der Zufluchtsuchenden ihre Geschichten erzählen: Sie kommen aus Honduras, El Salvador oder Guatemala, sind aus extrem bedrohlichen Verhältnissen geflohen. Den Frauen drohte die Zwangsprostitution, die jungen Männer sollten rekrutiert werden für kriminelle Banden, eine Transsexuelle musste um ihr Leben fürchten.
Fast alle Fluchten scheitern
Sie alle haben sich auf den Weg in die USA gemacht, und als sie im „La72“ auf das Einmannfilmteam aus Deutschland treffen, haben sie erst den kleineren Teil der Reise hinter sich. Einige sind zum ersten Mal aufgebrochen, andere haben es schon mal versucht – fast alle dieser illegalen Wanderer scheitern und können froh sein, wenn sie unversehrt abgeschoben werden.
Sie schildern ihre Erlebnisse, Hoffnungen und Ängste sehr plastisch in Lorenz’Kamera und Mikrofon. Der Filmemacher nimmt sich zurück und verzichtet auch darauf, aus dem Off irgendwelche Erklärungen beizusteuern. Dass es ihm gelingt, jeden falschen Ton des Elendstourismus zu vermeiden, der sich bei so vielen Dokumentationen zum Thema Flucht und Geflüchtete einschleicht, liegt daran, dass ihn das Thema schon beschäftigte, als er noch gar nicht daran dachte, mit der Kamera zu arbeiten: Lorenz studierte Ethnologie an der Hamburger Uni und ging für ein Auslandsjahr nach Mexiko, wo ihn interessierte, wie dort mit den indigenen und anderen Minderheiten umgegangen wird. Im Rahmen einer Feldforschung besuchte er eine Migrantenherberge im Süden des Landes und schrieb über seine Forschungen dann auch seine Magisterarbeit. Er ließ sich zum Videojournalisten ausbilden, unter anderem an der Hamburg Media School. Danach verstand es sich für ihn fast von selbst, dass ihn seine erste große Arbeit wieder nach Mexiko führte.
Wie so oft beim Dokumentarfilm entwickelte sich das Projekt anders als beabsichtigt: Lorenz war fasziniert von einem langen Marsch von Flüchtlingen, der 2013 in Mexiko für Aufsehen sorgte: In der Karwoche werden in ganz Lateinamerika lange Prozessionszüge veranstaltet, deren Teilnehmer schwere Holzkreuze durch die Straßen tragen. Der Pater des Franziskanerordens, der „La72“ leitet, organisierte solch einen Zug mit den Flüchtlingen, die bei ihm Zuflucht gefunden hatten. Geplant war eine etwas längere Wanderung zur nächsten großen Stadt, Palenque, aber der Marsch bekam eine Eigendynamik – und endete schließlich nach zehn Tagen und 1.200 Kilometern in Mexico City.
Von dieser so subversiven wie triumphalen Aktion gab es keine angemessene filmische Dokumentation, ein Mangel, den Lorenz sozusagen nachträglich abstellen wollte. Im folgenden Jahr dann aber verhinderte eine rigorose Polizei alle Versuche, den Marsch zu wiederholen. Am Ende drehte Lorenz zwar in der Karwoche 2015, wie das Kreuz geschnitzt wird und die Flüchtlinge sich damit auf eine kleine Prozession begeben. Einen langen Marsch aber versuchte man gar nicht erst wieder.
Finanziert per Crowdfunding
Auch bei Finanzierung und Vertrieb seines Films ging Lorenz ungewöhnliche Wege. Statt staatliche Fördergelder zu beantragen, holte er sich das erste Geld für sein Projekt durch eine Crowdfunding-Kampagne, bei der er um gerade einmal 7.500 Euro bat, die dann die Reisekosten für seinen Dreh deckten. Später kamen noch Sponsoren wie „Brot für die Welt“ und eine Stiftung des Franziskanerordens dazu, aber der Film wurde mit einem extrem niedrigen Budget und vor allem auf das erhebliche eigene Risiko des Filmemachers hin produziert.
Lorenz reichte ihn bei verschiedenen Festivals ein, die Berlinale nahm ihn nicht, aber beim Filmfest Schleswig-Holstein in Kiel lief „Viacrucis Migrantes“ als Eröffnungsfilm., auch zum New York City Independent Filmfestival reiste der Hamburger Debütant.
In einer außergewöhnlichen Aktion kehrt der Film gerade nach Mexiko zurück: Im Rahmen eines „Deutschlandjahres“ wird er auf einer aufblasbaren Leinwand in Tenosique und ein paar anderen Orten gezeigt, später dann im Goethe-Institut in Mexico City. In ein paar Wochen dürften ihn also mehr Mexikaner gesehen haben als Deutsche. Dafür hat Lorenz hierzulande inzwischen wenigstens einen Verleih gefunden, „Die Thede“ in Hamburg-Altona.
http://viacrucismigrante.com/
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