Die Kunst des Lächelns

KINO Das Arsenal widmet der im letzten Jahr verstorbenen Schauspielerin Setsuko Hara eine Hommage

In „Banshun – Später Frühling“ (Japan 1949) greift Regisseur Ozu die Rolle Setsuko Haras als Projektionsfläche des guten Japans auf Foto: Trigon

von Fabian Tietke

Lava sprotzt, Wellen branden, dann hupt das Kreuzfahrtschiff, und ganz zwanglos dürfen sich die blonde deutsche Kreuzfahrerin und ihr japanischer Mitreisender auf die Reling lehnen. Sie: „Schau mal, die Felsen da drüben.“ Er: „Ja, an denen haben sich schon die Stürme von zwei Jahrtausenden japanischer Geschichte gebrochen.“ Sie: „Und diese Stürme kamen immer von Westen, immer aus dem inneren Asiens?“ Er: „Die gefährlichen? Ja.“ Subtilität der Dialoge kann man dem Film „Die Tochter des Samurai“ kaum vorwerfen. Die Prestigepropagandaproduktion von 1937 gehörte zu einer Reihe kultureller Ersatzhandlungen, mit denen vor allem die Nationalsozialisten versuchten, den deutsch-japanischen Anti­kom­internpakt von 1936 weniger bedeutungslos erscheinen zu lassen.

Dass der Film heute noch bekannt ist, verdankt er neben den teils spektakulären Naturaufnahmen seiner Hauptdarstellerin Setsuko Hara. Das Berliner Kino Arsenal widmet der im September letzten Jahres verstorbenen japanischen Schauspielerin nun unter dem Titel „Modulationen des Lächelns“
 eine Hommage in dreizehn Filmen – und bemerkt einleitend im Programmtext zu Recht: „Keine andere Schauspielerin beherrschte die Kunst des Lächelns wie Setsuko Hara“.

Das Lächeln Setsuko Haras erstrahlte 1935 das erste Mal auf der Leinwand. Gerade einmal 15 war Hara damals. Auf Vermittlung ihres Schwagers, des Regisseurs Hisatora Kumagai, kam sie zum Studio Nikkatsu und spielte ihre erste Rolle unter der Regie von Tetsu Taguchiin in der heute weitgehend vergessenen Jugendromanze „Tamerau nakare wakodo yo“ (Do Not Hesitate Young Folks!).

In Setsuko Haras Lächeln bewahrte sich etwas von der jugendlichen Leichtigkeit des japanischen Films der frühen 1930er Jahre. Wirtschaftskrisenkomödien, gerne angesiedelt in den damals angesagten Bierhallen des Landes oder in Verbindung mit dem japanischen Volkssport Baseball, verschwanden nach dem Militärputsch im Juli 1936 allmählich, und unverfänglichere Filme traten an ihre Stelle. 1938 wechselte Setsuko Hara mit „Kyojin-den“, einer Verfilmung von Victor Hugos „Die Elenden“ von Nikkatsu zum Konkurrenzstudio Toho. Haras Marktwert im japanischen Starsystem war durch „Die Tochter des Samurai“ deutlich gestiegen. Ab 1938 spielte sie jedes Jahr in mehreren Filmen, unter anderem dem bekanntesten Pearl-Harbor-Propagandafilm, der während des Kriegs in Japan entstand: Kajiro Yamamotos „Hawai Marê oki kaisen“ („Die Schlacht von Hawaii und in der Malaien-See“). Ihre bekanntesten Filme drehte Setsuko Hara nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. 1946 spielte sie in Akira Kurosawas erstem Nachkriegsfilm, „No Regrets for Our Youth“; fünf Jahre später arbeitete sie erneut mit Kurosawa, diesmal bei dessen Dostojewski-Verfilmung „Hakuchi“ (Der Idiot).

Setsuko Hara zog sich schon mit gerade einmal Anfang 40 zurück

Ihre bekanntesten Filme jedoch entstanden aus der Zusammenarbeit mit dem Regisseur Yasujiro Ozu. In „Banshun“ (Late Spring) von 1949, der ersten Zusammenarbeit der beiden, spielt Hara die treue Tochter eines verwitweten Vaters (Chishu Ryu). Lange weigert sich die Tochter, zu heiraten und ihren Vater im Alter allein zu lassen. In „Banshun“ greift Ozu die Rolle Setsuko Haras als Projek­tionsfläche des guten Japans aus „No Regrets for Our Youth“ auf und fügt diese Figur in ein reduziertes Melodram ein. Das liebevoll hadernde Wechselspiel zwischen Tochter und Vater und vor allem Setsuko Haras Interpretation der Rolle der Tochter zwischen Selbstaufgabe und kurzen Momenten des Glücks in „Ban­shun“ transzendieren in leuch­tenden Schwarzweißbildern die Grenzen des Melodrams.

Das Balancieren zwischen Individuum und Projektionsfläche für gesellschaftliche Prozesse, die Zerrissenheit zwischen den Rollenmodellen, die an japanische Frauen in der Nachkriegsgesellschaft herangetragen werden, prägt auch die Rollen Haras in den fünf weiteren Filmen, die sie mit Ozu drehte. Sehr zu Recht eröffnet das Arsenal die Hommage an Setsuko Hara mit „Banshun“ und beendet sie mit der letzten Zusammenarbeit der beiden in „Kohayagawa-ke no aki“ (Late Autumn) – einem strahlend schönen Farbmelodram über den Aufbruch in eine neue Zeit. 1963, zwei Jahre nach „Late Autumn“, stirbt Yasujiro Ozu. Setsuko Hara zog sich mit gerade einmal Anfang 40 in die Küstenstadt Kamakura zurück und spielte bis zu ihrem Tod im letzten September in keinem weiteren Film mehr.

Modulationen des Lächelns: Hommage auf Setsuko Hara: Kino Arsenal, 2.–31. 8.