Jungs werden Jungs sein

Grunge Beim Konzert von Mudhoney vorgestern im Lidokonnte man sich noch einmal als Slacker im Slackerhimmel fühlen

Im letzten Herbst, oder war es schon Winter, spielte der 70-jährige Bryan Ferry im Tempodrom. Nachdem er seine esoterisch angehauchte perfekte Radiomusik spielte, gab er als Zugabe ein Set aus feschen Roxy-Music-Standards. Darunter „Editions of You“: Das Lied eines Herrn, der sich nimmermüde auf die Suche nach der perfekten Ausgabe eines weiblichen Gegenübers macht, weil das eben seine Natur ist: „And boys will be boys, will be boys …“

Jetzt, es ist Sommer 2016, stehen Mudhoney auf der kleineren Bühne des gut gefüllten Lido und spielen genau diesen Song an vierter oder fünfter Stelle: Sie sind immer noch da, sie sind immer noch laut und wütend. Den Fame haben die anderen abgeschöpft – wie Sänger Mark Arm im Song „The Only Son of the Widow“ auch hinreichend beklagt: All die toten Legenden des Grunge Rock. Kurt Cobain und dann später die von der Rockistenabteilung des Grunge, nämlich Layne Staley und Mike Starr von Alice In Chains, Scott Weiland von den Stone Temple Pilots. Drogenopfer.

Dabei waren Mudhoney vorher da. Sie waren der Motor. Fuzzpedale, Marshall-Verstärker, Schreigesang. Wie gut dieser Sound war, den man damals am Baggerloch auf dem Walkman gehört hat, als Slacker im Slackerhimmel, kurz bevor der Indierock endgültig in die Altherrenabteilung (Alternative Country, oh mein Gott) verschwand, das war an diesem Dienstagabend zu hören. Gegenüber der jungen Vorband aus San Francisco, die eine Art Krautpunk machten, der klang wie Rage Against the Machine ohne Funk, sahen die Männer aus ­Seattle hingegen tatsächlich alt aus. Die Tracks der Use­less Eaters, die mit Kreischgitarre und Quäksynthie (ein Moog) antraten, waren um einiges ausgefeilter als der alte Grunge Rock der Helden aus Seattle. Ausgefeilter, vertrackter, interessanter.

Nach dem Superfuzz

Und doch, schon bei Stück zwei, hatte man die Vorlage bereits vergessen: „Suck You Dry“, bösen Zungen nach der damals frischen Witwe Courtney Love gewidmet, war vielleicht das letzte richtig, richtig gute Stück, das Mudhoney je draufhatten.

Nach der dazugehörigen Platte „Piece of Cake“ von 1992, der ersten bei der Industrie, die sie spät entdeckte und weiter vernachlässigte, weshalb das auch nicht so geklappt hat mit dem Ruhm, kam zwar noch ohne Ende Material raus – aber der große Superfuzz war vorbei.

Mudhoney machten noch Cowpunk und Schweinerock mit Schweineorgel (die sie diesmal wohlweislich zu Hause gelassen hatten), es interessierte bloß niemanden mehr. Bassist Matt Lukin verließ das Gebäude, die Band veröffentlichte wie am Anfang wieder auf Sub Pop, und aufhören gehörte irgendwie nicht zum Programm.

Und so spielten sie vorgestern ein brachial lautes Set (leider überforderte die Lautstärke nicht nur Teile des Publikums, sondern auch den Tonmischer). Für das innere Holzfällerhemd, das für diesen einen Abend aufgetragen wurde, hat es sich gelohnt. Es flatterte noch einmal aufgeregt im Lärm.

René Hamann