: Haben Sie Angst?
KRIMINALITÄT In Berlin gibt es keine No-go-Areas, sagt die Polizei. Jeder könne sich immer und überall in der Stadt aufhalten, ohne Furcht vor einem Überfall haben zu müssen. Aber stimmt das noch? Sechs Erfahrungen
BARBARA BORN, SENIORIN
Den Park haben die Schläger fest im Griff
„Die Schule in Adlershof soll gut sein. Doch unser Sohn wird sie nicht besuchen. Vor einem Jahr ist sein älterer 15-jähriger Bruder da überfallen worden, weil er einen Pulli mit St.-Pauli-Totenkopf anhatte. Sein Freund wurde von den kahlgeschorenen Jungmännern krankenhausreif getreten. Die Täter sind bekannt. An einem Kiosk in Adlershof versammeln sie sich öfter. Den Park haben sie fest im Griff. Die Tochter eines Nachbarn geht nicht mehr hin: Ihr Freund hat arabische Wurzeln, weswegen ihm die Lungerer Köpenickverbot erteilt haben. Ich will nicht, dass meine Kinder an diese Orte gehen. Ich will da selbst nicht hin. Ich habe Angst.“
Andreas Rüttenauer, 44, ist taz-Redakteur und lebt in Köpenick
Nie eine bedrohliche Situation erlebt
„Es ist unglaublich: Ich lebe seit 1970 in Berlin – und fühle mich unverändert sicher. Wenn ich von Gewalt in den Medien lese, staune ich. Ich selbst habe noch nie eine bedrohliche Situation erlebt. Vielleicht liegt es daran, dass ich grauhaarig bin. Das schützt. Viele Männer reagieren darauf mit Hilfsbereitschaft. Außerdem meide ich Orte, an denen am Wochenende viele betrunkene Leute unterwegs sind – wie den Alexanderplatz. Oder wo sich keiner aufhält. Durch den Görlitzer Park hingegen, in dem die Dealer stehen, gehe ich immer. Wo viele Menschen sind, fühle ich mich beschützt.“
Barbara Born, 69, war Lehrerin und lebt in Kreuzberg
Alkohol trinken und Jugendliche abziehen
„Für die meisten Leute ist Zehlendorf ein Paradebeispiel für eine ruhige Gegend. Doch der Stadtteil wird für Jugendliche zunehmend gefährlich. Schauplatz U-Bahnhof Krumme Lanke: Ich laufe mit einem Freund von der U-Bahn zu dem Vorplatz hoch. Da kommt uns ein Bekannter entgegen und erzählt, dass schon wieder diese ‚Assis‘ oben sind: 16- bis 18-jährige Jungs, die schon um 20 Uhr betrunken herumpöbeln und Jugendliche abziehen. Immer öfter höre ich von solchen Geschichten, die meist an Wochenenden und oft auf U- oder S-Bahnvorplätzen passieren. Die Polizei? Hält sich raus.“
Mitja Dastis, 16, wohnt in Lichterfelde. Er war Schülerpraktikant in der taz.berlin
Ich gehe auch nachts durch dunkle Parks
„Das Schlimmste, was mir in Berlin zugestoßen ist: Meine EC-Karte wurde ausgelesen, und danach hat jemand in Nairobi von meinem Konto 200 Euro abgehoben. Doch unsicher oder gar gefährdet habe ich mich hier noch nie gefühlt, egal an welchem Ort und egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Ich bin sicher kein Muskelprotz, und wenn etwas an mir abschreckt, dann mein Bart. Vielleicht hat der mich bisher beschützt. Ich habe eine Zeit lang nahe der Neonazi-Hochburg Weitlingstraße in Lichtenberg gewohnt, laufe auch nachts durch Parks und finde am Alexanderplatz höchstens den eisigen Wind bedrohlich. Nicht, dass mir noch nichts passiert wäre: Mich haben auch schon Betrunkene angepöbelt und Halbstarke provoziert. Aber das war in der bayerischen Stadt, in der ich aufwuchs.“
Sebastian Puschner, 28, ist taz-Redakteur und er lebt in Friedrichshain
Verbrechen bei mir um die Ecke
„Unlängst wurde bei mir um die Ecke eine Frau von einem Psychopaten, den sie über das Internet kennen gelernt hatte, in ihrer Wohnung beinahe zu Tode gefoltert. Seit Wochen geht mir diese Tat nicht aus dem Kopf, und die Frau und ihre Tochter tun mir unendlich leid. Zudem hängen Steckbriefe, mit denen nach einem Unbekannten gesucht wird, der im Oktober einem 22-Jährigen in den Bauch geschossen haben soll. Eigentlich müsste ich mich deswegen in meiner Gegend unsicher fühlen. Das tue ich nicht – weil Schöneberg ein ziviler und sozial durchmischter Stadtteil ist, in dem man viele Nachbarn kennt und grüßt. Gerade deshalb gehen einem solche Geschichten aber auch besonders nahe.“
Daniel Bax, 42, ist taz-Redakteur und lebt in Schöneberg.
Auf dem Fahrrad fühle ich mich meist sicher
„Wenn Lebenszusammenhänge unsicherer werden, wie es in der gegenwärtigen Krise der Fall ist, wirke sich das auf das Sicherheitsgefühl der Menschen generell aus. Soweit die Sozialforschung. Ich lebe schon 15 Jahre in Wedding, und die Frage ist: Spüre ich größere Unsicherheit – etwa nachts auf den Straßen? Meist bin ich mit dem Fahrrad unterwegs, und da fühle ich mich sicher. Obwohl, unbelebte, düstere Straßen meide ich auch, wenn es dunkel ist. Zu Fuß sowieso.“
Waltraud Schwab, 56, ist taz-Redakteurin und lebt in Wedding
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