piwik no script img

Ein depressiver Ego-Shooter

Ermittlungen Der Amokschütze von München hat sich ein Jahr auf seine Tat vorbereitet und ein Manifest verfasst. Sein Vater erkannte ihn auf einem Video und ging zur Polizei

von Martin Reeh

BERLIN taz | Der Amokschütze von München-Moosach hat seine Tat über ein Jahr lang vorberietet. Das gaben Polizei und Staatsanwaltschaft in München bekannt. Demnach hat der 18jährige Deutsch-Iraner 2015 die Schauplätze des Amoklaufes in Winnenden von 2009 besucht und davon Fotos gemacht. Anschließend habe er ein eigenes Manifest verfasst.

Der Chef des bayerischen LKA, Robert Heimberger, widerrief aber Meldungen, nach denen sich das Manifest des norwegischen Rechtsextremisten Anderes Breivik auf dem Computer des Münchner Täters befunden haben sollte. Breivik hatte auf den Tag genau fünf Jahre vor dem Münchner Amoklauf 77 Menschen getötet.

Die Münchner Opfer, von denen fast alle unter 18 Jahre alt sind und einen Migrationshintergrund haben, sollen nicht gezielt ausgewählt worden seien. Ein politisches Motiv schließt die Polizei aus. Auch seien keine Mitschüler des Täters unter den Opfern. 2012 hatte die Polizei gegen Mitschüler des 18jährigen ermittelt, weil sie ihn gemobbt haben sollen. Warum er die Tat rund um das Olympia-Einkaufszentrum im Münchner Norden beging, ist noch unklar.

Nach den Ergebnissen der bisherigen Ermittlungen hat der Täter über ein gefälschtes Facebook-Profil gezielt versucht, Menschen zum Tatort zu locken. Er habe versprochen, ihnen dort etwas zu spendieren. Frühere polizeiliche Meldungen, nachdem der Täter ein anderes Facebook-Profil gehackt habe, widerrief das LKA.

Der Täter soll wegen Angststörungen und Depression in Behandlung gewesen sein. Laut Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch sei er im vergangenen Jahr zwei Monate stationär in Behandlung gewesen und danach ambulant behandelt worden. Bisher ist unklar, ob er die ihm verordneten Medikamente auch genommen hat.

Der Täter soll sich die Waffe, eine Glock, im Darknet beschafft haben. Heimberger sagte, der Schütze sei wie „jeder Amokläufer in den vergangenen Jahren ein ausgeprägter Ego-Shooter-Spieler gewesen. Er habe sich intensiv mit dem Computerspiel „Counter-Strike: Source“ beschäftigt.

Der Amoklauf hatte gegen 17.50 Uhr am Freitagabend begonnen. Die ersten Schüsse fielen vor dem McDonald’s in der Hanauer Straße in München-Moosach, dort starben fünf Personen. Die übrigen vier Opfer erschoss der Täter vor und in dem gegenüber liegenden Einkaufszentrum und in einem benachbarten Elektrogeschäft. Ob er gezielt junge Menschen auswählte, ist unklar. Nach den Morden lief der 18-Jährige über ein Parkdeck und stritt sich mit einem Anwohner. Gegen 20.30 Uhr schließlich tötete sich der Täter in der Nähe des Einkaufszentrums selbst, als ihn eine Polizeistreife ansprach. Bei ihm wurden noch rund 300 Schuss unverbrauchte Munition gefunden.

Mehrfach gab es Fehlalarm

Die Polizei war anfangs davon ausgegangen, dass es bis zu drei Täter geben könnte. Vor allem deshalb ging am Freitagabend die Angst um, es könne sich einen Anschlag von islamistischen Tätern nach dem Vorbild der Pariser Attentate vom November 2015 handeln. Die Polizei stoppte den öffentlichen Nah- und Fernverkehr in ganz München und riet, zu Hause zu bleiben. Wiederholt gab es Fehl­alarme in den Medien wegen weiterer Amokschüsse, so etwa am Stachus in der Münchner Innenstadt. Um 20.40 Uhr, als sich der Täter schon erschossen hatte, sprach die Polizei von einer „akuten Terrorlage“.

Gegen 2.30 Uhr Samstag früh stürmte die Polizei die Wohnung des Amokläufers, erst danach gab sie Entwarnung. Wie LKA-Chef Heimberger mitteilte, hatte der Vater seinen Sohn schon kurz nach den Schüssen in einem Video erkannt, das im Internet kursierte. Er sei dann zur Polizei gegangen und habe den Verdacht geäußert, dass sein Sohn der Täter sei. Bis gestern waren die Eltern des Amokläufers nicht vernehmungsfähig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen