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Der Bodenständige will hoch hinaus

taz-Serie Olympiareif (Teil 4) Der Handballer Fabian Wiede von den Berliner Füchsen konzentriert sich lieber aufs Spiel. Launische Statements überlässt der 22-Jährige anderen. Er gilt als dynamischer, vielfältiger Spieler, dem nur manchmal etwas Stabilität fehlt

Was Fabian Wiede sagt, klingt selten aufregend, aber sportlich gesehen ist er ein spannender Typ. Hier beim Spiel gegen Tunesien Mitte Juli Foto: imago

von David Joram

Spieler bejubeln ihre Tore gerne. Handballer tun dies etwas weniger ausführlich als Fußballer. Für die Werfer ist ein Treffer bei so vielen Treffern ja bei Weitem nicht so aufregend. Also heben sie nur kurz den Arm oder ballen eine Faust. Bei wichtigen Toren werden auch mal beide Fäuste oder Arme benutzt. Fabian Wiede tat am Freitagabend weder das eine noch das andere. Obwohl er ja getroffen hatte; beim vorolympischen „Eurotournoi“-Wettbewerb in der Straßburger Rhenus-Halle nämlich, gegen Dänemark und für die deutsche Mannschaft. Zugegeben, ein Faustballen oder Armheben wäre unangebracht gewesen; die Deutschen lagen kurz vor Schluss mit sieben Toren zurück (Endstand 19:25). Das war Wiede, dessen Heimatverein die Füchse Berlin sind, bewusst. Und doch hätte sich der Rückraumspieler vielleicht eine kleine Jubelgeste gegönnt – wenn er denn gekonnt hätte.

Wiede lag aber am Boden, hielt sich sein Gesicht mit beiden Händen und prüfte, ob beide Augenlider noch auf Befehl hin blinzeln konnten; schließlich war den Lidern ein Ellenbogen in die Blinzelbahn geraten. Wiede wurde bei dem erfolgreichen Torwurf leicht von einem Gegenspieler gestoßen und rasselte dann gegen den Ellenbogen des Mitspielers Pekeler. Ja, das kann ins Auge gehen!

Glücklicherweise tat es das nicht. Also ordnete Wiede diese Szene nach dem Spiel als das Normalste der Welt ein. „Beim Handball gibt’s auch mal einen Ellenbogen gegen den Kopf, das gehört dazu, da muss man eben durch und hart im Nehmen sein.“

taz-Serie „olympiareif“

Die Tour de France lief noch bis zum 24. Juli – nun warten alle auf das nächste sportive Großereignis in diesem Sommer: Vom 5. bis 21. August finden in Rio de Janeiro die Olympischen Sommerspiele statt. Viele Athletinnen und Athleten bereiten sich bereits seit Jahren intensiv auf diesen sportlichen Höhepunkt ihrer Karriere vor. (taz)

Ein typischer Wiede-Satz. Botschaft: Kann passieren, nicht zu ändern, muss man mit leben. Punkt. So spricht der Europameister in der Öffentlichkeit. Privat soll er, eigenen Angaben nach, ein lustiger Typ sein. Im Handballerdress gibt er sich jedoch geradlinig und bodenständig, launische Statements überlässt er anderen. Er phrasiert lieber so: „In der ersten Halbzeit haben die Tore gefehlt. Die zweite war dann besser.“ Das klingt erst mal wenig aufregend, ein bisschen auch nach Bankkaufmann. Just diese Ausbildung absolviert Wiede derzeit bei einer Berliner Sparkasse, parallel zum Handballleben.

Selbst Wiedes Bart, der ihn ein bisschen wie einen gepflegten Schifffahrtskapitän aussehen lässt, sieht geordneter aus als bei anderen Werfern. Dafür würde Wiede auf hoher See wohl auch bei Windstärke 10 ganz entspannt bleiben: Kann passieren, muss man mit leben, würde er dann wahrscheinlich sagen. Und trotzdem ist der 22-Jährige, der weitaus älter wirkt, ein ziemlich spannender Typ – jedenfalls was die sportliche Komponente anbelangt. Bundestrainer Dagur Sigurðsson sagt etwa: „Er hat bei der EM eine sehr gute Rolle gespielt. Für einen Linkshänder ist er sehr vielfältig, dazu kommt die Dynamik und eine klasse Finte.“ Was Trainer Sigurðsson lobt, bestätigte Wiede gegen die starke dänische Abwehr um den Weltklassetorhüter Niclas Landin durchaus. Bei einem seiner insgesamt vier Tore täuschte er gleich mehrere Spieler und schloss wuchtig ab. Diesen Fabian Wiede wünschen sich die (deutschen) Handballfans. ­Dieser sagt selbstbewusst über sich selbst: „Der Trainer weiß, was ich kann. Er weiß, dass ich in engen Spielen die Nerven behalte.“

Es gibt aber auch den anderen Wiede, der zu zögerlich abschließt oder einmal zu viel passt. Anders als außerhalb des Hallenbodens schwankt Wiede auf der Platte, wie die Handballer ihren Untergrund gerne nennen, bei seinen Auftritten etwas. Sigurðsson formuliert es so: „Er hat Höhen und Tiefen und muss noch stabiler werden.“ Der Beurteilte sieht das ähnlich: „In der Abwehr klappt das ganz gut, aber im Angriff muss ich torgefährlicher und konstanter werden, mir Würfe nehmen, die kontrollierter sind.“

„Der Trainer weiß, was ich kann. Dass ich Nerven behalte“

Fabian Wiede

Kontrollieren, das heißt bei den Handballern, den Torversuch dann zu wagen, wenn der Wurf ziemlich sicher reingeht. „Kontrollieren“, die Vokabel wurde am Freitag unweigerlich auch mit München in Zusammenhang gebracht, wo ein 18-jähriger Amokläufer zunächst neun Menschen und dann sich selbst erschoss. So kam die Frage nach der Sicherheit bei großformatigen Events wie den Olympischen Spielen auf. Fabian Wiede schaltet da wieder in den Ruhepolmodus: „Wir haben in dieser Halle der französischen Polizei und den Sicherheitskräften vertraut. Wir werden ohne Angst auch nach Rio fliegen.“ Bei Wiede wird deutlich, dass er die oft überladenen Diskussionen tatsächlich ausblenden kann. Er regelt den Sport, um den Rest sollen sich andere kümmern.

Zielstrebig auf Titeljagd

Mit zwölf Jahren verschrieb sich Wiede dem Leistungssport. Von Bad Belzig wechselte er ins Handballinternat nach Potsdam, schließlich zu den Füchsen Berlin, wo er bereits in der Jugend mit dem Titelsammeln anfing. 2010 Deutscher Meister mit der B-Jugend, 2011, 2012 und 2013 Deutscher Meister mit der A-Jugend, 2014 nationaler Pokalsieger, 2015 EHF-Cup-Sieger und Vereinsweltmeister, 2016 Europameister. Step by step. Bleiben der WM-Titel, Olympia und die deutsche Meisterschaft der Herren übrig. Die nächste WM-Chance bietet sich 2017, den Olympiasieg wollte der Verband eigentlich erst 2020 angehen, wenn das aktuelle Team reifer ist. Auch Wiede, der sich bis dahin weiter stabilisieren wird.

Die Nationalmannschaft und Olympia

Erfolge: Eine bundesdeutsche Handballauswahl wurde noch nie Olympiasieger (auch bei den Frauen nicht). 1936 siegte Nazi-Deutschland (beim Feldhandball) in Berlin, 1980 holte die DDR in Moskau Gold. Handball in der Halle ist seit 1972 olympisch.

Motivation: „Rituale habe ich nicht; als Team schwören wir uns vor jedem Spiel mit passender Musik ein. Nach der müssen sich alle richten. Patrick ­Groetzki (Rhein-Neckar Löwen) gibt den Vorzeige-DJ“, verrät Fabian Wiede.

Maskottchen: Wiede gesteht: „Früher hatte ich viele verschiedene Maskottchen.“ In Rio ist Zimmernachbar und Vereinskollege Paul Drux ein adäquater Ersatz. Mit dem versteht sich Wiede so gut, dass ein Maskottchen diesmal überflüssig ist.

Termine: In Gruppe B trifft die DHB-Männerauswahl auf Schweden, Polen, Brasilien, Slowenien und Ägypten. Es ist die vermeintlich leichtere Vorrundengruppe, da sich in der anderen Hälfte die Favoriten Frankreich, Dänemark und Kroatien befinden. Die besten vier Teams einer Gruppe ziehen ins Viertelfinale ein. ­Fabian Wiede und seine Mitspieler starten am 7. August, 16.30 Uhr (MESZ) gegen Schweden ins Turnier. (djo)

Fraglich ist eigentlich nur, ob Wiede den wichtigsten deutschen Vereinstitel mit den Füchsen schaffen kann. Die Antwort lautet: Eher nein. Die Top drei – Kiel, Flensburg/Handewitt, RheinNeckar Löwen – dürften auch in den nächsten Jahren führend sein. Wechseln möchte Wiede deshalb nicht. „Es gab noch keine Anfrage, aber was drum herum passiert, kümmert mich ohnehin nicht. Ich habe hier einen Vertrag bis 2021, den will ich erfüllen“, sagt er.

Falls Wiede irgendwann mal doch woanders Fäuste ballen und Arme heben will, müssten die Füchse-Verantwortlichen damit leben. Bei einem spannenden, jungen Spieler wie Fabian Wiede kann das durchaus passieren.

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