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Aufstehen, weitermachen

TEAMGEIST Kühl, abgezockt, entschlossen: Portugal begeistert auch im Halbfinale gegen Wales nicht – und erreicht dennoch völlig verdient das Endspiel. Wie macht die Mannschaft das?

Aus Lyon Johannes Kopp

Wer Geschichte schreiben will, der hat am besten auch große Geschichten zu erzählen. Und in dieser Hinsicht gab sich das portugiesische Team am Mittwochabend in Lyon keine Blöße. Deren Trainer Fernando Santos schaute weit über die gerade gespielten 90 Minuten zurück auf die Anfangsphase seiner Amtszeit im Herbst 2014: Nach dem Freundschaftsspiel gegen Frankreich im Stade de France, berichtete er, habe er seinen Spielern gesagt: „Wir wollen in dieses EM-Finale. Wir wollen am 10. Juli 2016 zurück im Stade de Fance sein.“ Für ihn, das merkte man, hatte es große Bedeutung, diese Geschichte mit diesem soeben vollendeten schönen Bogen loszuwerden. Nach dem 2:0-Erfolg gegen Wales ist das große Ziel erreicht.

Es sind ja diese märchenhaft anmutenden Erzählungen, die der Sport zu bieten hat, die zu seiner Überhöhung beitragen. Vor zwei Jahren lag der portugiesische Fußball am Boden. Bei der WM in Brasilien musste man nach biederen Auftritten bereits nach der Vorrunde nach Hause fahren, und die EM-Qualifikation hatte man mit einer schmachvollen Heimniederlage gegen Albanien gestartet. Der Coach Paulo Bento ging und Santos kam mit ebendiesen hehren Vorstellungen. Nichts schien jedoch unrealistischer, als dass Portugal gerade in dieser Phase auf seinen ersten EM-Titel zusteuern sollte.

Und obgleich Santos seit seinem Amtsbeginn kein Pflichtspiel verloren hat, trauten nur wenige diesem Team etwas zu. Als die portugiesische Mannschaft in der Vorrunde von Island, Ungarn und Österreich vermeintlich seine Grenzen aufgezeigt bekam, fühlten sich viele bestätigt. Und die wenig glamourösen Auftritte danach gegen Kroatien und Polen sorgten immer noch nicht für einen Meinungsumschwung.

Aber jetzt, da Portugal gegen Wales wieder wenig Glanz verbreitete, die Begegnung letztlich in vier Minuten durch Ronaldo (50.) und Nani (53.) entschied, und davor und danach kaum etwas Nennenswertes passierte, müssen die Ergebnisse dieses Teams neu gelesen werden. Und die Erzählung von Fernando Santos könnte helfen, dem Geheimnis des Erfolgs der Unscheinbaren ein wenig näher zu kommen. Dieses Team scheint tatsächlich von einem ganz besonderen Geist zusammengehalten zu werden. Wales’ Trainer Chris Coleman wollte von dem Gerede über den unattraktiven Stil der Portugiesen sowieso nichts wissen. Er wünsche ihnen den Finalsieg, bekannte er. Ob das möglich ist? „Natürlich“, antworte Coleman, „im Finale gewinnen nicht die besseren Spieler, sondern es gewinnt das beste Team. Ich habe heute Nacht bei Portugal ein Team gesehen.“ Er schwärmte von deren besonderem „Spirit“.

Der Teamspirit wird fälschlicherweise oft mit dem Begriff der Leidenschaft, des unbändigen Willens gleichgesetzt, sichtbaren Größen also auf dem Platz. Der portugiesische Teamspirit kommt aber mehr im Unscheinbaren zum Ausdruck. Gegen Wales verstand die Mannschaft von Santos, ihren Willen zu bändigen. Sie haben offenbar aus ihrer Vergangenheit gelernt: Wer zu viel auf einmal will, dem bleibt oft nur wenig. Mit kühlem Verstand hielten sie sich zurück, standen sehr tief und begannen ihren Gegner erst an der Mittelfeldlinie zu attackieren. Mit ihrem laufintensiven Spiel verengten sie die Räume für die Waliser derart, dass diese in der ganzen Partie nur drei Schüsse aufs Tor brachten, und zwar lediglich aus weiter Distanz, alle vom immer mehr verzweifelnden Gareth Bale getreten.

Die Portugiesen haben in diesem Turnier die Gabe entwickelt, sich sehr pragmatisch auf das wirklich Nötige zu beschränken, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Und dazu zählt vor allem die Vermeidung jeglichen Risikos. „Wir studieren unsere Gegner, um unserer Abwehr Überraschungen zu vermeiden“, erklärte Fernando Santos. Selbst gegen eine Außenseitermannschaft wie Wales hatte das Prinzip der Risikovermeidung oberste Priorität.

Sogar Ronaldo wurde von Santos zum Zurücklaufen erzogen, auch wenn er gegen Wales im Rückwärtsgang vor allem seinen Mitspielern mit dirigierenden Armbewegungen anzeigte, welche Lücken noch zu schließen sind. „Ich versuche defensiv zu helfen. Ich versuche alles zu geben“, beteuerte der Ausnahmestürmer, der vor allem in den wichtigen Ausscheidungsspielen gegen Kroatien und Polen der Versuchung widerstehen konnte, vorn allein zu glänzen. Er ließ sich oft zurückfallen.

In Lyon konnte man sehen, wie entbehrungsreich diese Zeit der fehlenden Aufmerksamkeit für den 31-Jährigen war. Nach seinem wuchtigen Kopfballtreffer und seiner Vorlage zum zweiten Tor stand er wieder im geliebten Scheinwerferlicht. Das permanente Teamdenken verlangte ihm einiges ab und so gönnte er sich mal eine kleine Pause. Zum Einzug ins Finale sagte er: „Das Team hat es verdient, ich habe es verdient, Portugal hat es verdient, die Fans haben es verdient.“ Da waren sie also mal kurzerhand wieder voneinander getrennt. Auf der einen Seite das Team, auf der anderen Ronaldo.

Im Interesse beider werden sie schnell wieder zusammenfinden. Ronaldo setzt sich sowieso immer ausschließlich die größten Ziele. Fernando Santos hat ihm gezeigt, wie man die anderen auf den Weg dahin mitnimmt und wie man sich dabei auch anpassen muss. „Wir sind nicht die beste Mannschaft auf der Welt, aber wir sind auch keine Schwächlinge. Wir wissen, was wir wollen“, erklärte Santos. Diese Überzeugung und dieser Wille scheinen ausschlaggebende Kräfte im Spiel der Portugiesen zu sein. Es ist ein visionärer Realismus – nicht sonderlich schön anzuschauen, aber sehr erfolgreich.

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