: Der Mensch und das Nichts
WILDES DENKEN Sven Hillenkamp spricht über die „Zwänge der Freiheit“ – und flüchtet sich glücklicherweise nicht ins Reaktionäre
Da schreibt einer an: gegen etwas. Auf vier Bände hat Sven Hillenkamp sein Projekt angelegt, das man, vorläufig, eine Gegenwartsdiagnose nennen könnte: „Zwänge der Freiheit“ lautet dessen Titel. Und gleich zu Beginn ist dann auch die Rede vom „Übel einer unendlich gewordenen Freiheit, unendlichen Auswahl in jedem Bereich, unbegrenzter Möglichkeiten“. Im Vorwort zu Band eins stand das, der vom „Ende der Liebe“ handelte.
Das deckt sich mit andernorts so Bemerktem: Dass etwa all diese Internet-Partnerschaftsplattformen sich so sehr nicht unterscheiden vom Amazon-Einkaufserlebnis. Und in der Folge dann einem echten Sich-einlassen-Auf im Wege steht, dass sich doch noch irgendwer, irgendwas Besseres finden lassen könnte.
Wurden solche relativ alltagsnahen Befunde seinerzeit auch von der Brigitte weiterverbreitet, dürfte das mit Hillenkamps neuem Buch „Negative Moderne“ eher nicht passieren. Darin weitet er den Fokus, und vom vergleichsweise spezifischen Thema Liebe gelangt er zu fünf Annäherungen an nicht weniger als das – Nichts.
Dass Rezensenten Hillenkamp mal zum Soziologen, mal zum diffuser bleibenden Wissenschaftler, mal zum Journalisten, auch mal zum freiberuflichen Philosophen erklärt haben, ist insofern von Bedeutung, als die Türsteher der akademischen Philosophie so ihre Probleme haben werden mit dessen Methodik und Stil: Der ist eher literarisch, zugleich aber voller Anspielungen auf Geistes- und Denkgeschichte.
Und um einem Missverständnis vorzubeugen: Selbst wenn sich der Autor, Jahrgang 1971, an der Freiheit abarbeitet (oder gar dagegen an), setzt er nicht auf die Alternative: Unfreiheit. Hillenkamps Projekt nährt eben kein Ennui oder Überdruss an Errungenschaften, die ja noch längst nicht überall durchgesetzt sind unter den Menschen. Oder, auch das schrieb ein Rezensent: „Beim Durchblättern der Prosa Hillenkamps fällt auf, dass ihr Sound ohne Militärmusik komponiert ist. Das ist ein gutes Zeichen“. ALDI
Sven Hillenkamp zu Gast im „Philosophischen Café“ mit Reinhard Kahl: Di, 12. Juli, 19 Uhr, Literaturhaus
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