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Archiv-Artikel

Der Knackwurst-Effekt

ERNEUERBARE ENERGIE Ein neues Kraftwerk in Norwegen nutzt die Energie, die bei der Vermengung von Süß- und Salzwasser entsteht. Pläne zur kommerziellen Nutzung ab 2015

Die Theorie für das Salzkraftwerk war bereits vor über 30 Jahren vorhanden

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Wenn Süßwasser und Salzwasser sich treffen, entsteht eine Energie erzeugende Reaktion. Diesen Knackwurst-Effekt, der beispielsweise die Haut salziger Bockwürstchen durch das hineindrängende heiße (Süß-)Wasser platzen lässt, nutzt man in Norwegen jetzt zur Elektrizitätsgewinnung. Am Dienstag wurde am Oslofjord das weltweit erste osmotische Kraftwerk in Betrieb genommen.

Es handele sich um „erneuerbare Energie, die im Gegensatz zu Sonnen- oder Windenergie unabhängig vom Wetter in stabiler und voraussehbarer Menge zur Verfügung steht“, schwärmt Stein Erik Skilhagen, Projektleiter beim staatlichen Energiekonzern Statkraft. Seit zehn Jahren arbeitet er an dieser Art der Stromerzeugung und glaubt an die Zukunft der Salzkraft. Die Anlage am Ufer des Oslofjords bei Tofte, gebaut in einer ehemaligen Chlorfabrik, ist nur ein kleiner Anfang. Die produzierte Energie von rund 1.500 bis 2.000 Watt reicht gerade für den Betrieb einer Kaffeemaschine oder eines Staubsaugers aus. Vielmehr gilt es, mit der Anlage Erfahrungen zu sammeln.

Genutzt wird das physikalische Prinzip der Osmose. Trifft Süßwasser als die weniger konzentrierte Lösung auf Salzwasser, wird diese stärker konzentrierte Lösung durchdrungen, bis sich beide im „Gleichgewicht“ befinden, also die gleiche Konzentration aufweisen. Trennt man Salz- und Süßwasser durch eine Membran, wird das Süßwasser durch diese Trennschicht hindurch zum Salzwasser hinübergezogen, wodurch auf der Salzwasserseite ein Überdruck entsteht. Das unter Druck stehende Wasser treibt eine Turbine zur Stromerzeugung an.

Theoretisch wurde das Prinzip eines solchen Salzkraftwerks bereits in den siebziger Jahren von dem israelischen Forscher Sidney Loeb entwickelt. Für eine Realisierung war die Entwicklung geeigneter Membranen der Knackpunkt. Diese sollen für Süßwasser leicht durchlässig sein, aber zugleich das Salzwasser trotz des entstehenden starken Drucks auf „seiner“ Seite halten. In der „Knackwurst“ soll sich kräftig Druck aufbauen, sie darf aber nicht platzen.

Die Anlage in Tofte besteht aus 66 Druckröhren mit einer Membranfläche von 2.000 Quadratmetern. Pro Quadratmeter dieser Membran lässt sich aktuell knapp ein Watt erzeugen. Man hofft demnächst mit effektiveren Membranen zwei bis drei Watt erzeugen zu können, das Ziel ist eine Leistung von fünf bis sechs Watt pro Quadratmeter. Geht alles nach Plan, soll 2015 das erste kommerzielle Salzkraftwerk in Betrieb genommen werden. Dann sollen 4 bis 5 Millionen Quadratmeter Membranfläche eine Leistung von 20 bis 25 Megawatt erzeugen und damit den Bedarf von rund 20.000 Haushalten decken.

Als Standorte bieten sich vor allem Flussmündungen an, wo Süß- auf Salzwasser trifft. Europaweit haben die Statkraft-Techniker ein mögliches Potenzial für Kraftwerke mit einer Leistung von 200 Terrawattstunden errechnet, weltweit ein Potenzial von 1.700 Terrawattstunden, was etwa der Hälfte der jährlichen europäischen Stromproduktion entspricht.