: Die Scharia regiert ewig
Christine Schirrmacher und Ursula Spuler-Stegemann glauben nicht an den Erfolg von Feministinnen, die Kopftuch tragen. Also kommen sie in ihrem Buch auch gar nicht erst vor
Schnapp macht die Klischeefalle: Ganz unten an den Buchdeckelrand geklemmt ein paar feucht glänzende Augen unterm Schleier. Das sind die von der Scharia unterdrückten Frauen der muslimischen Welt. Von einem Sachbuch zu diesem Thema wünscht man sich etwas anderes als Schwarzweißmalerei. Leider erfüllen die Islamwissenschaftlerinnen Christine Schirrmacher und Ursula Spuler-Stegemann diesen Wunsch nur halb.
Einerseits stimmt das Bild der unterdrückenden Scharia. Die Summe aus Koran und nichtkoranischen Überlieferungen von Mohammed hat im Mittelalter Rechtsschulen ausgeformt, die sich völlig einig sind in einer Tatsache: Männer und Frauen sind keinesfalls gleich. Der Islam schreibt ihnen unterschiedliche Pflichten vor: Der Mann muss die Frau versorgen. Sie im Gegenzug hat ihm zu gehorchen. Das nennt man auch Patriarchat. Wie sich diese patriarchale Tradition vor allem in den familienrechtlichen Vorschriften der Scharia niederschlägt und von dort aus die Gesetzgebung der muslimischen Welt beeinflusst, beschreiben die Autorinnen in ihrem Band mit dankenswerter Detailfülle.
Und dennoch bleiben sie, wenn es um den praktischen Umgang mit der Scharia geht, oft so ungenau, dass sie das Klischee nicht differenzieren, sondern zementieren. Spuler-Stegemann selbst gibt zu, dass ihre Darstellung in die „Gefahr der Schieflage“ gerät, weil sie sich ausschließlich auf die negativen Auswirkungen der patriarchalen Überlieferungen konzentriert. „Positive Entwicklungen werden dadurch nur allzu leicht ausgeblendet“, erklärt die Autorin selbst.
Das ist kein Wunder. Denn die Autorinnen haben sich entschieden. Die Scharia erhebe den Anspruch gottgesetztes Recht zu sein, so referieren sie. „Daher scheint eine Reformation der rechtlichen Regelungen im Bereich von Ehe und Familie nur im Zusammenhang mit einer Säkularisierung der islamischen Gesellschaft vorstellbar – die derzeit nicht in Sicht ist.“ Das ist eine ideologische Haltung, die die durchaus wechselhafte Geschichte des „gottgesetzten“ islamischen Rechts unterschlägt. Mit dieser Grundhaltung kann man alle Bemühungen, das Familienrecht in muslimischen Ländern zu reformieren, ohne zugleich der Scharia insgesamt den Kampf anzusagen, nur für Augenwischerei halten. Dann allerdings kann man die neueren Entwicklungen in Sachen Frauenrechte in islamischen Ländern nicht erklären, weil es sie aus dieser Perspektive gar nicht geben kann.
Deshalb beschreiben die Autorinnen mit einem wirklich bewundernswerten Überblick die patriarchal gefärbte Gesetzeslage und Realität in muslimischen Ländern. Fortschritte bei den Frauenrechten dagegen werden oft in zwei Sätzen abgehandelt. Und dass diese Fortschritte in den letzten Jahren auch von islamisch argumentierenden Frauenrechtlerinnen erkämpft wurden, fällt ganz unter den Tisch. Das ergibt eine Schieflage, in der Tat. Wer sich über aktuelle Entwicklungen in Sachen Frauenrechte informieren möchte, wird hier nicht fündig.
Wer dagegen nur einen Überblick über die traditionellen Schariabestimmungen und ihre Auswirkungen sucht, ist mit diesem Band gut bedient: Die Koranverse, die das Schlagen der Ehefrau legitimieren, die ihren Gehorsam einfordern, die ihre mindere Rechtsstellung zementieren und die entsprechenden frauenfeindlichen Überlieferungen sind alle hier zu finden. Das Scheidungsrecht, das dem Mann die simple Verstoßung der Frau ermöglicht, ihr aber beim Scheidungswunsch hohe Hürden in den Weg legt, wird ebenso erläutert wie die Polygamieregelungen, der kaum vorhandene Scheidungsunterhalt oder das ungleiche Erbrecht.
Auch zeigen die Autorinnen anschaulich, wie die islamischen Vorstellungen mit den patriarchalen Gewohnheiten nahöstlicher Stammesgesellschaften zusammenwirken. So sieht etwa das islamische Recht relativ viele – wenn auch komplizierte – Wege vor, wie eine Frau sich scheiden lassen kann. Doch die patriarchale Tradition bewirkt, dass dies den Frauen nicht bekannt ist oder sie keinen Richter finden, der es berücksichtigt. Schließlich werde die Gehorsamspflicht dem Mann gegenüber sie ohnehin an der Wahrnehmung ihrer Rechte hindern.
An vielen Stellen des Buches verweisen Schirrmacher und Spuler-Stegemann darauf, wie flexibel die Scharia gehandhabt wurde und wird. Dass dabei auch aufgeklärtere oder sogar feministische Interpretationen dieses Rechtssystems einen Weg in die Politik finden könnten, schließen sie aber prinzipiell aus. In ihren Augen erkennen sogar islamische Feministinnen die Scharia an und kämpfen damit für ihre eigene Unterdrückung – was nachweislich falsch ist. In Ägypten oder im Iran haben auch islamisch argumentierende Frauenrechtlerinnen Fortschritte im Familienrecht erzielt, indem sie die Scharia neu interpretierten.
Einen feministischen Islam kann es nicht geben, ist das Credo der Autorinnen. Doch es gibt zweifelsohne diese Frauen, die mit Kopftuch gegen die Polygamie und für ihren Scheidungsunterhalt kämpfen, die im Iran Rechtswissenschaften studieren und sagen „Der Koran ist unsere Waffe“. Warum sie unterschlagen werden? Sie passen eben einfach nicht ins Klischee.
HEIDE OESTREICH
Christine Schirrmacher, Ursula Spuler-Stegemann: „Frauen und die Scharia. Die Menschenrechte im Islam“. Diederichs Verlag, München 2005, 254 Seiten, 19,95 Euro