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Archiv-Artikel

Manifest preußischer Selbstdarstellung

Die Fertigstellung des Doms war vor allem politisch begründet: Er wurde nach dem Abzug der Franzosen 1814 zum Symbol des noch zu bauenden deutschen Reiches hoch stilisiert

VON PASCAL BEUCKER UND DIRK ECKERT

Jahrzehnte lang hatte er sich vehement dafür eingesetzt, dass der Kölner Dom endlich fertig gebaut wird. Doch als es heute vor 125 Jahren endlich so weit war, war August Reichensperger alles andere als in Feierlaune. Denn schließlich hatte er schon als Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung 1848 das protestantisch preußische Erbkaisertum bekämpft und nun musste der erzkatholische Reichstagsabgeordnete dieses aus seiner Sicht unwürdige Spektakel miterleben: Mit Kaiser Wilhelm I. und seiner Frau Augusta an der Spitze hatten sich die gesellschaftlichen Spitzen des wilhelminischen Kaiserreichs im mit Fahnen und einer Ehrenpforte prächtig geschmückten Köln versammelt, um mit einem großen Fest ausgerechnet die Vollendung der größten katholischen Kirche der Welt zur pompösen Selbstdarstellung zu nutzen. Und die Kölner feierten trotz trüben Wetters kräftig mit.

Dabei hatte Reichensperger die Bevölkerung ausdrücklich zur „würdigen Zurückhaltung“ aufgerufen. Doch sein Aufruf hatte nur bei Geistlichen und der konservativ-katholischen Führungsschicht der Dombaubewegung Anklang gefunden. Der einfache Kölner – Kirchentreue hin, antipreußische Ressentiments her – scherte sich wenig darum. Spöttisch bot im Kölner Stadt-Anzeiger, damals noch „Anzeigenblättchen“ der großen Kölnischen Zeitung, ein Kölner sogar preiswerte Aussichtsplätze für den Festzug an: „Zur würdigen Zurückhaltung vermiete ich 200 Fenster“. Das Angebot wurde gerne aufgegriffen. Nicht ohne einen Anflug von Bitternis notierte August Reichensperger in sein Tagebuch: „Der Rausch geht vorüber, der Dom bleibt.“

Aber warum hätten die Kölner denn auch nicht feiern sollen? Nur wegen des Kulturkampfs, der zwischen der katholischen Kirche und dem Staat tobte? Oder weil das Kölner Domkapitel von der Gestaltung des Festes ausgeschlossen blieb und der eigentliche Hausherr nur dazu „aufgefordert“ worden war, ein Te Deum abzuhalten und die Glocken zu läuten? Nein, das wäre wirklich etwas kleinlich gewesen. Denn schließlich galt es, einem wahrlich historischen Ereignis beizuwohnen: Mit der Schlusssteinsetzung am 15. Oktober 1880 wurde ein Jahrhunderte lang andauerndes Provisorium beendet. Denn im 16. Jahrhundert waren die 1248 begonnenen Bauarbeiten an der monumentalen „Hohen Domkirche St. Peter und Maria“ – so die offizielle Bezeichnung der Metropolitankirche des Erzbistums Köln – immer langsamer geworden und schließlich um das Jahr 1560 herum ganz eingestellt worden. So blieb eine der bedeutendsten Wallfahrtskirchen Europas ein Torso. Der wirtschaftliche Niedergang der Stadt und damit fehlendes Geld für den Weiterbau, aber auch schlichtes Desinteresse der Bürger sollen die Gründe dafür gewesen sein. „Es interessierte sich niemand mehr für gotische Kathedralen“, so Rolf Lauer, der Leiter des Dombauarchivs.

Mit der Besetzung Kölns durch französische Revolutionstruppen 1794 schien das Schicksal des Doms endgültig besiegelt. Der Gottesdienst wurde verboten, die Inneneinrichtung wurde als Brennholz genutzt und der Dom selbst zum Lagerraum umfunktioniert. Immerhin bestimmte Napoleon Bonaparte nach seinem Konkordat mit dem Papst 1801 den Dom wieder zur Pfarrkirche. Im Jahre 1804 stiftete seine Gattin Josephine eine größere Geldsumme zur Unterhaltung des maroden Baus am Rhein. Im selben Jahr schrieb Friedrich Schlegel, einer der führenden Vertreter der Romantik: „Wäre er vollendet, so würde auch die gotische Baukunst ein Riesenwerk aufzuzeigen haben, was dem stolzesten des neuen und alten Roms verglichen werden könnte.“

Zwar hätte die „Wiederentdeckung der Kunst des Mittelalters als konstitutives Element der Nationalgeschichte durch die deutsche Romantik“ den Anstoß gegeben, so Dombauarchivar Lauer. Doch sie allein wäre nicht ausreichend gewesen, um den Dom doch noch fertig zu stellen. Eine politische Komponente sei es gewesen, die den Ausschlag gab: die aus dem als „Befreiungskrieg“ verklärten Sieg über das napoleonische Frankreich 1814 erwachsene Idee der nationalen Einigung Deutschlands. Denn der Dom wurde nun als nationales Denkmal „entdeckt“. So veröffentlichte der Publizist Joseph Görres 1814 einen pathetischen Aufruf zur Vollendung des Doms: Heute noch in „trümmerhafter Unvollendung“, solle die fertig gestellte Kathedrale „ein Symbol des neuen Reiches“ werden, „das wir bauen wollen“. Nun entstand eine regelrechte „Dombaubewegung“. Ob Preußen oder Rheinländer, Katholiken oder Protestanten, Kirche und Staat, Herrscher und Untertanen – alle machten mit. „Nichts hat Preußen und die Rheinlande stärker zusammengebracht“, schreibt der Kölner Historiker Werner Jung. Thomas Nipperdey spricht in diesem Zusammenhang von einer „Omnibusfunktion“.

Programmatisch beschwor der preußische König Friedrich Wilhelm IV. bei der Grundsteinlegung zum Weiterbau des Doms am 4. September 1842 den „Geist deutscher Einigkeit und Kraft“. „Nie ziehe jemals wieder der Geist hier ein, der einst den Bau dieses Gotteshauses, ja den Bau des Vaterlandes hemmte“, beschwor der Monarch seine Zuhörer. „Hier, wo der Grundstein liegt, dort, mit jenen Trümmern zugleich, sollen sich die schönsten Thore der Welt erheben. Deutschland baut sie, so mögen sie für Deutschland durch Gottes Gnade Thore einer neuen, großen, guten Zeit werden! Alles Arge, Unechte, Unwahre und darum Undeutsche bleibe fern von ihnen.“

So konnte der Dom also fertig gestellt werden – nach 632 Jahren. Und Heinrich Heines Prophezeiung aus seinem 1844 verfassten „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (aus dem die Strophen auf dieser Seite stammen) bewahrheitete sich nicht.