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Archiv-Artikel

Die Mater aller Rabatte

Die Berliner Erstsemester werden in wenigen Tagen von Nono Senzo, Professor für Reduzierte Ökonomie, offiziell begrüßt. Gegenstand seiner Begrüßungsrede sind Preisvergünstigungen dank Studierendenausweis. Das Manuskript wurde der taz-Redaktion als Sonderangebot zugespielt

VON NONO SENZO

Liebe Studentinnen, liebe Studenten,

herzlich willkommen an der Alma Mater. Sie haben jetzt die spannendsten Jahre Ihres Lebens vor sich. Machen Sie intensiven Gebrauch von der Freiheit – der Freiheit der Wissenschaft. Das darf jedoch nicht mit Beliebigkeit oder – schlimmer noch! – mit Amüsement verwechselt werden. Sie ist in erster Linie eine Pflicht und kein Versprechen. Leider sieht die heutige Studentenschaft das ganz anders. Leider gilt die Weisheit des Sokrates „Nichts zu bedürfen ist göttlich. Möglichst wenig zu bedürfen, kommt der göttlichen Vollkommenheit am nächsten“ nicht mehr.

Die Verantwortung trifft, das will ich konzedieren, nicht Sie allein, liebe Studenten. Mitgedacht werden muss eine gigantische Freizeitindustrie, die mit allen ihr zur Verfügung stehenden Arsenalen des modernen Marketings auf Sie zielt, um Sie zu willigen Opfern eines industriell gefertigten bewusstlosen Amüsements zu machen.

25 Prozent Ermäßigung für Studenten in der Komischen und der Deutschen Oper. 50 Prozent Ermäßigung in allen Staatlichen Berliner Museen, 99 Cent Eintritt am Kinotag im Sojus, 3,50 Euro am Dienstag in den Cinemaxx-Kinos – das muss die Studentenschaft teuer bezahlen: mit dem Verlust der tiefen, unverbrüchlichen Liebe zu den Wissenschaften.

Gott sei Dank gibt es immer noch die Einsichtigen und Verständigen. Das Imax-Kino gewährt keinen Studentenrabatt. Sehr gut! Auch das FSK verzichtet freiwillig auf seine Rolle als Totengräber einer sich mit Lust dem permanenten Amüsement hingebenden Studentenschaft. Gratulation! Aber schon die Kinos der York-Gruppe machen mit ihrer unverantwortlichen Preispolitik gegenüber dem kritischen Geist der Studenten alle guten Ansätze, die Eleven der Wissenschaft an ihre Schreibtische zu fesseln, wieder zunichte. Damit gefährden wir die Konkurrenzfähigkeit des Standorts Deutschland mittelfristig bis in die Grundfesten. Wenigstens hat der Gegner Ironie. Die „Bar jeder Vernunft“ (!) gibt fünf Euro Rabatt.

Wir sehen den kritischen Geist unserer Studenten einer Phalanx äußerst raffiniert agierender und mehr oder weniger globalisiert operierenden Multis ausgesetzt. Die Landesbank Berlin ist ein gutes Beispiel. Erst führt sie sich mit waghalsigen Turbogeschäften in die selbst gewollte Krise, bilanziert die drohende Insolvenz, kassiert Milliarden vom Land Berlin, um sie dann über ihre Tochter, die Berliner Sparkasse, an die Studenten in Form von Rabatten auszureichen. Wie anders ist die Null-Euro-Kontogrundgebühr zu erklären?

Während sich die klugen Köpfe der Wissenschaft früher in Disputen und Labors verausgabten, verausgabt sich die heutige Studentenschaft in ganz anderer Weise – in den Offerten der Unterhaltung. Und wenn das Budget erschöpft ist, machen sie mit ihrer Kreditkarte weiter. Ich frage, wieso dürfen Studenten Kreditkarten besitzen, können Kredite aufnehmen? Die Antwort gibt die Berliner Sparkasse: Studenten sollen „das Leben genießen“.

Auch andere staatsnahe Unternehmen wie die GEZ, die Bahn, Telekom und T-Mobile suchen den Weg in die Köpfe der Wissensgesellschaft. Rabatt- und Preisschlachten um die Gunst des Konsumenten gehören zur Marktwirtschaft wie Wasser und Luft zum Leben. Doch mit dem Einzug eines habitualisierten Eskapismus in die Universitäten droht ihnen der Entzug ihrer Existenzberechtigung. Eine Erosion der Wissensgesellschaft wäre die Folge.

Schon Stalin wusste: Vom Feind lernen heißt Siegen lernen. Eines der effizientesten Instrumente der Unterhaltungsindustrie im Kampf um die begrenzte Ressource Aufmerksamkeit sind Get 2 Cards. Ihr Prinzip ließe sich in Zeiten von Studienkonten und Credits ins Kritische wenden: Einer zahlt, zwei studieren.