Bundeswehr

Mehr Führungsverantwortung, mehr Personal, mehr Waffen – vom Fokus auf die defensiven Aufgaben des Militärs bleibt wenig übrig

Deutschland will „Impulsgeber“ sein

Weißbuch Die Bundeswehr soll aufrüsten, häufiger ins Ausland und Führung übernehmen, vielleicht auch mit EU-Ausländern in ihren Reihen. So steht es in dem Grundlagenpapier, das das Kabinett heute beschließt

Erster Arbeitstag eines 19-jährigen Matrosen bei der Marine: Die Bundeswehr sucht nach neuen Wegen, um mehr potenzielle Rekruten zu erreichen Foto: Frank Schinski/Ostkreuz

von Pascal Beucker
und Tobias Schulze

BERLIN taz | Es hat gedauert. Knapp anderthalb Jahre lang ließ das Verteidigungsministerium über das neue Bundeswehrweißbuch diskutieren. Bürger, Militärs, Wissenschaftler und Politiker durften auf Dutzenden Veranstaltungen über den Inhalt diskutieren. Damit handelt es sich bei dem Papier um „das erste sicherheitspolitische Grundlagendokument Deutschlands, das auf einer inklusiven Beteiligungsphase aufbaut“, wie es in den Vorbemerkungen heißt.

Anzumerken ist das dem Dokument, das das Kabinett heute offiziell beschließen wird, allerdings nicht. Über weite Strecken liest sich das neue Weißbuch vielmehr wie eine Legitimationsschrift: für neue Auslands­einsätze der Bundeswehr und für den hohen Finanzbedarf von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Durchaus vorhandene Stimmen, die weiterhin für eine militärische Zurückhaltung Deutschlands plädieren, fanden dagegen kein Gehör.

Die „Dynamik unseres Sicherheitsumfelds“ habe „zu einem Anstieg der weltweiten Einsätze der Bundeswehr geführt“, heißt es in dem neuen Weißbuch – ganz so, als handle es sich um Naturgesetzmäßigkeiten und nicht um bewusste politische Entscheidungen der jeweiligen Bundesregierungen. Nun soll es angesichts des Konflikts mit Russland und dem Staatszerfall im Nahen Osten in die nächste Etappe gehen: „Deutschland ist bereit, sich früh, entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen.“ Anders als noch vor zehn Jahren will sich die Bundesrepublik nicht mehr damit zufriedengeben, nur „verlässlicher Partner“ in der EU und der Nato sein, mittlerweile formuliert sie einen „Gestaltungsanspruch“.

Konkret mündet dieser Anspruch in einer Reihe von Vorhaben, die im bislang gültigen Weißbuch aus dem Jahr 2006 höchstens am Rande auftauchten. So sei Deutschland zum Beispiel bereit, „Führungsverantwortung in VN-Missionen“ zu übernehmen und innerhalb der Nato als „Rahmennation“ zu wirken. Sprich: Die Deutschen leiten in Einsätzen ganze Verbände, an die sich kleinere Partnerstaaten mit ihren Einheiten anschließen.

Die Bundesregierung will allerdings nicht nur Einsätze unter dem Dach von UNO und Nato vorantreiben. Im Gegenteil: Deutschland will sich vermehrt „an Ad-hoc-Kooperationen beteiligen oder diese gemeinsam mit seinen Partnern initiieren“. Blaupause ist der Einsatz der von den USA geführten Militärkoalition gegen den IS, an der sich die Bundeswehr bereits beteiligt. Solche Allianzen sind flexibel: In ihnen können sich willige Staaten auch dann zusammentun, wenn UNO und Nato einen Einsatz ablehnen.

Auf bestimmte Kompetenzen beschränken soll sich die Bundeswehr für künftige Einsätze nicht. Laut Weißbuch muss Deutschland „militärische Mittel im gesamten Aufgaben- und Intensitätsspektrum“ vorhalten. Ein Schwerpunkt könnte in Zukunft aber auf dem Konzept der „Ertüchtigung“ liegen, das sich durch das gesamte Dokument zieht. Dabei geht es um die „Beratung, Ausbildung und Ausrüstung“ von schwächeren Partnern – so wie derzeit im Nord­irak, wo die Bundeswehr die kurdischen Peschmerga-Kämpfer mit Waffen versorgt.

Neben solchen Missionen im Ausland beschäftigt sich das Weißbuch am Rande auch noch mit Einsätzen im Inland. Forderungen aus der Union, solche Einsätze durch eine Grundgesetzänderung zu erleichtern, konnte das Verteidigungsministerium wegen Widerständen in der SPD nicht im Weißbuch unterbringen. Dafür hat sich die Koalition auf die Formulierung geeinigt, dass Inlandseinsätze grundsätzlich schon jetzt „auch bei terroristischen Großlagen in Betracht“ kämen. Was dieser Kompromiss für die Praxis bedeutet, ist noch unklar.

So oder so ergeben sich aus den gestiegenen Aufgaben aber kostspielige Konsequenzen. Im Weißbuch liest sich das so: „Die finanziellen Rahmenbedingungen müssen es der Bundeswehr ermöglichen, ihr in Qualität und Quantität gewachsenes Aufgabenspektrum und die bündnispolitischen Anforderungen erfüllen zu können.“ Denn derzeit sei die Truppe hinsichtlich ihrer Strukturen und Ressourcen „noch nicht in dem angestrebten Umfang aufgestellt“. Erforderlich sei, „Aufgabenspektrum und Ressourcenausstattung der Bundeswehr wieder in Einklang zu bringen“. Eine „Trendwende“ sei notwendig. Konkret bedeutet das: ein drastisch höherer Verteidigungsetat, bessere Waffen und mehr Personal.

Um die aktuellen Personalprobleme zu lösen, will die Bundesregierung offenbar neue Wege gehen. So böte „die Öffnung der Bundeswehr für Bürgerinnen und Bürger der EU ein Regenerationspotenzial für die personelle Robustheit“. Sprich: Die Regierung will die Personallücken mit Ausländern füllen. Andere EU-Staaten setzen dieses Instrument bereits ein. Bekanntestes Beispiel ist die französische Fremdenlegion, die seit dem 19. Jahrhundert Ausländer in die Streitkräfte integriert.

Neben dieser möglichen Öffnung der Bundeswehr verordnet die Bundesregierung ihrer Armee ein „modernes Diversity Management“. Vielfalt und Chancengerechtigkeit mit Blick auf „ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder sexuelle Orientierung“ sollen gar Führungsaufgabe werden. Auch dadurch soll die Bundeswehr neue Rekruten erreichen.

Über weite Strecken liest sich das neue Weißbuch wie eine Legitimationsschrift für neue Auslands­einsätze

Während die Bundesregierung der Diversity erstmals ein eigenes Kapitel widmet, ist ein anderes Leitbild endgültig aus dem Weißbuch verschwunden. „Die Bundesregierung betrachtet den Frieden als das höchste Gut“ – so ein Satz, wie er 1970 zu lesen war, findet sich heute nicht mehr. Nur noch vage ist von der „Förderung von Frieden“ die Rede, aufgeführt als eines von mehreren Zielen deutschen Regierungshandelns, noch hinter der Wahrung des Wohlstands.

Die ökonomischen Interessen werden wichtiger. Im Weißbuch 2006 wurde bereits als im Interesse Deutschlands bezeichnet, den „freien Welthandel zu fördern und dabei die Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen überwinden zu helfen“.

Auch hier geht die Bundesregierung jetzt weiter: Es wird nun explizit als „Auftrag der Bundeswehr“ definiert, zur Abwehr von Bedrohungen für „unsere freien und sicheren Welthandels- und Versorgungswege beizutragen“. Von der Überwindung der Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen ist übrigens keine Rede mehr.

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