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Das geschändete Heiligtum

Kino Das Babylon Mitte zeigt morgen eine Doku über den Bau des umstrittenen Belo-Monte-Staudamms im Amazonas-Gebiet

Das vielbevölkerte Schwellenland Brasilien braucht jede Menge Energie. Kaum verwunderlich, dass man auf die Idee verfallen ist, vor allem die Kraft des Wassers dafür zu nutzen. Schließlich hat man in der Amazonas-Region genügend davon. Doch anders als in Ländern wie Schweden oder Norwegen, in denen Wasserkraftwerke in kaum bewohnten, abgelegenen Fjällregionen gebaut werden können, leben am Amazonas und seinen Seitenarmen überall Menschen.

Als Noch-Staatspräsidentin Dilma Roussef im Mai 2016 den Megastaudamm „Belo Monte“ einweihte, der nun der drittgrößte der Welt ist, waren nicht nur unzählige Hektar Urwald dafür gerodet, sondern auch 40.000 Menschen umgesiedelt worden. Indigene zumeist, deren Rechte dabei zum Teil systematisch missachtet wurden.

Das macht unter anderem der Interviewausschnitt mit einer Staatsanwältin klar, der im Film „Count-Down am Xingu“ (der Rechtschreibfehler ist Teil des Titels) des Dokumentarfilmers Martin Keßler gezeigt wird. Es sei beim Aufstauen des Flusses Xingu reihenweise zu Verstößen gegen die Bauauflagen gekommen, erklärt sie. Unter anderem habe man nicht gewährleistet, dass die regionalen Indigenen-Organisationen noch arbeitsfähig seien.

Aus Sicht der Betroffenen

Martin Keßler ist mit seiner Kamera vor allem auf der Seite der Betroffenen unterwegs. Die Aktivistin Antonia Melo zeigt den Ort, an dem früher ihr Haus gestanden hat. Es wurde abgerissen, ebenso wie die Häuser vieler anderer. Die Betreiberfirma Norte Energia hat für die Betroffenen zum Teil neue Behausungen bereitgestellt, wie in der Stadt Altamira, die der Filmemacher im Abstand von zwei Jahren zweimal besucht.

Als die Häuser neu sind, blitzt und funkelt noch alles, und die Bewohnerin, die sich bei einem offiziellen Termin herzlich bei den Verantwortlichen bedankt, scheint ehrlich entzückt von ihren neuen vier Wänden. Zwei Jahre später ist die Siedlung nicht wiederzuerkennen. An die viel zu kleinen Häuser sind überall Verschläge aus Wellblech angepappt worden.

Ihr Haus sei von Rissen im Beton durchzogen, erzählt eine Bewohnerin, das verwendete Material sei viel zu billig gewesen. Hinzu komme, dass man nun nicht mehr wisse, neben wem man wohne. Früher habe man genau gewusst, wer zur örtlichen Gang gehöre, da habe man seine Kriminellen gekannt. Jetzt misstraut jeder jedem.

Die Bewohner eines abgelegenen Ortes im Regenwald, den Keßler besucht, konnten immerhin in ihrem Zuhause bleiben. Ihre traditionelle Lebensgrundlage, die Fischerei, haben sie jedoch verloren. Hühner sind ihnen dafür gegeben worden, und sie roden den Regenwald, um Mais anzubauen. Doch auch für diese Kompensation haben sie lange kämpfen müssen. Im Vorbeifahren zeigt die Kamera ein ausgebranntes Wrack, das Teil einer Straßensperre war, mit der die Indigenen die Bauarbeiten erfolgreich behindern konnten. Ohne diesen Protest, bei dem sie ihr Leben riskierten, sagt die frischgebackene Hühnerzüchterin, hätten sie gar nichts bekommen.

Die menschlichen Schicksale, die Keßler zeigt, gehen zu Herzen. Das Vertrauen in Brasilien als Austragungsland der Olympischen Spiele steigt nicht, wenn man hört, dass die Staatsanwaltschaft fünfzig Anträge wegen Verstößen gegen die Bauauflagen gestellt hat, ohne dass je ein Gericht einen Baustopp für den Megastaudamm verhängte.

Die Baukonsortien, die für den Bau der Staudämme verantwortlich sind, sind dieselben, die auch die olympischen Bauten errichteten – und dieselben, die in den Korruptionsskandal verwickelt sind, für den Dilma Roussef vom Amt suspendiert wurde. Eine ältere Aufnahme zeigt den früheren Staatspräsidenten Lula, der erregt erklärt, man solle sich gefälligst nicht von außen einmischen, denn Amazonien gehöre nun einmal Brasilien. Und all die Menschen, die in Brasilien Energie bräuchten, wollten „Amazonien nicht als Heiligtum der Menschheit“. Katharina Granzin

„Count-Down am Xingu V“. Regie: Martin Keßler. Deutschland 2016, 95 Min. Läuft im Babylon Mitte, 12. 6., 20 Uhr

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