: Wie Gefühle verkaufen
Manipulation Früher verkaufte Werbung Produkte durch Informationen, heute erzeugt sie Sehnsüchte
VonNadine Wahl, Kathrin Reisinger und Luca Spinelli
Kurvige Küstenstraße, Abendsonne. Ein silbern glitzerndes Auto schlängelt sich die Straße entlang nach oben. Dazu Klaviermusik. Freiheit, Kraft, ein Lebensgefühl absoluter Unabhängigkeit und Eleganz. Wow!
Emotionen machen Kasse. Die Menschen sollen „trainiert werden, zu verlangen, neue Sachen zu wollen, auch wenn die alten noch nicht gänzlich verbraucht sind“, sagte Paul Mazur von Lehmann Brothers im Jahr 1927. Die Sehnsüchte eines Menschen müssten dessen Bedürfnisse in den Schatten stellen. Damit markiert er die Geburtsstunde des modernen Marketings. Bis zum zweiten Weltkrieg verkauften Hersteller das, was gebraucht wurde. Es zählten sachliche Argumente wie Qualität und Nützlichkeit. Doch bald war der Markt gesättigt, die Nachfrage stagnierte. Von nun an sollten die Konsumenten Dinge kaufen – um des Kaufens Willen. Knapp 90 Jahre später gelingt das immer besser.
„Emotion funktioniert auf Social Media extrem gut, weil man eher einen Beitrag liest und auch teilt, der einen emotional anspricht“, sagt Christian Simon. Er arbeitet beim Social Media Watchblog, der die Entwicklung von „sozialen“ Medien beobachtet. Forscher der Columbia University fanden kürzlich heraus, dass 59 Prozent der Nutzer und Nutzerinnen Beiträge teilen, ohne sie überhaupt gelesen zu haben. So breiten sich Informationen und auch Falschmeldungen in Netzwerken aus.
Für Empörung sorgte ein Facebook-Experiment, bei dem der Konzern heimlich die Timeline von 689.000 Nutzern und Nutzerinnen manipulierte. Facebook bewies damit, dass sie die Stimmungen von Menschen verändern können. Mehr positive Nachrichten in der Timeline führten zu mehr positiven Mitteilungen der Nutzer und Nutzerinnen. Und positiv gelaunte Menschen bleiben länger im Netzwerk. Die Werbeeinnahmen sprudeln.
Vor zwei Jahren verbreiteten Millionen Menschen ein Video viral: „First Kiss“. Darin küssen sich einander fremde Menschen. Einfach so. Den Teilenden war nicht klar, dass es sich dabei um Werbung handelte. Denn die Marke „Wren“ steht in dem Video nicht im Fokus. Während sich die meisten auf küssende Menschen konzentrierten, ging es tatsächlich darum, Kleidung zu verkaufen.
Wo endet Marketing und wo beginnt Manipulation?
Bei Lebensmitteln etwa existieren klare Regeln. „Es gibt EU-weit eine Verordnung, welche ‚Health Claims‘ versprochen werden dürfen. Man muss Beweise und Studien liefern, damit man so einen Claim auf sein Produkt drucken darf“, so Dario Sarmadi, Pressesprecher von Foodwatch, einem gemeinnützigen Verein. Foodwatch deckt häufig irreführende Werbepraktiken auf.
Die Publizistin Hilal Sezgin schlägt einen Lackmustest vor: Würde die Glaubwürdigkeit dessen, was Werbung vermittelt, darunter leiden, wenn wir den tatsächlichen Hintergrund der Botschaft kennen? So schön die Werbewelt erscheint, am Ende geht es nur um eines: „Kauft unser Zeug“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen