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Archiv-Artikel

Bieg dich, B-Boy

„Popping“ und „Locking“, „Clowning“ und „Krumping“: Mit aktuellen Trends im Breakdance machte „Hot Moves“ im HAU 1 vertraut

Sämtliche Körperteile wirbeln zeitgleich in verschiedene Himmelsrichtungen

VON JAN KEDVES

Es sind immer wieder die gleichen Bilder, die einem in den Sinn kommen, wenn es im Zusammenhang mit HipHop und Graffiti um Tanz geht: Breaker, die sich irgendwo in der amerikanischen Betonwüste mit halsbrecherischen Hubschrauber-Spins die Zeit vertreiben und dabei nichts weiter zwischen ihren Nackenwirbeln und dem Boden haben als ein Stück Pappe. Auch bekannt: die Tricks, bei denen Arme zu Sinuswellen mutieren, oder der Gag mit den weißen Handschuhen und der Fensterscheibe, die gar nicht da ist. Stets dabei: ein Ghettoblaster. Bilder, die seit den tiefsten Achtzigern kaum revidiert wurden.

Dass Breakdance allerdings auch heute, über 20 Jahre später, noch ein ernst zu nehmender Bestandteil der HipHop-Kultur ist – und vor allem auch ein in Berlin populärer –, zeigte sich am Freitagabend, als die Bühne des HAU 1 zum Abschluss von „Backjumps – The Live Issue #2“, dem Festival für „urbane Kommunikation und Ästhetik“, kurzerhand zur Straße erklärt wurde: „Hot Moves“ hieß das Programm, bei dem das Hebbel am Ufer unter seinen Besuchern die bislang wohl höchste Sneaker-und-Baggy-Pants-Dichte registriert haben dürfte.

Als Zeremonienmeister im Zentrum der Show stand Niels Robitzky alias Storm, weit gereister Tänzer und Choreograf, den man noch als Moderator des Viva-HipHop-Formats „Freestyle“ kennen könnte. Ein Meister Proper des urbanen Tanzes, der sich schon seit über 20 Jahren für die vierte Säule der HipHop-Kultur engagiert und all das, was von Detlef „D!“ Soost zuletzt kaputtgemacht wurde, mit einem einzigen Spin wieder glatt bügelt.

Er und ein junger Kollege namens Raphael erklärten zu Beginn erst einmal Begrifflichkeiten: dass „Breakdance“ nämlich eine höchst unzulängliche Bezeichnung für das sei, was in Brooklyn Ende der Sechzigerjahre erfunden wurde: „B-Boying“ solle man es besser nennen. Außerdem lernte man, dass ebenfalls an der Ostküste geprägte Tanzstile wie das „Uprocking“ – eine tänzerische Variante von Gang-Kämpfen – nicht viel gemeinsam haben mit den von der Westküste stammenden Stilen „Popping“ und „Locking“. Bei Letzteren gehe es eher darum, alles zu tun, dabei aber bloß nicht wie ein Mensch auszusehen. „Roboter, Tier oder irgendwas Animiertes“, lautete die Erklärung von Chrisclique, einem Tänzer aus Potsdam, dem man – als er zur Verdeutlichung exakt getaktete spastische Zuckungen durch seinen Körper schickte – gerne glauben wollte, dass er täglich vier bis sechs Stunden übt.

Nicht unerwähnt bleiben durften natürlich auch die vergleichsweise neuen Urban-Dance-Stile „Clowning“ und „Krumping“: In Los Angeles popularisierte, stilisierte Formen der Rodney-King-Beatings, die in „Rize!“, einem Dokumentarfilm des Hochglanzfotografen David LaChapelle, gerade ein beeindruckendes Denkmal gesetzt bekommen haben.

Kam einem „Hot Moves“ bis dahin doch eher wie eine Theoriestunde als eine Tanzshow vor, versöhnte der zweite Teil dann mit B-Boying-Action galore: zum einen zeigte Storm mit seinen Gästen eine Gruppenchoreografie, bei der sämtliche Körperteile zeitgleich in verschiedene Himmelsrichtungen flogen und noch einmal besondere Spezialitäten herausgestellt wurden – Elektroschocks, Oberschenkel-Butterflys, Spinnenduelle, Puddinghüften –, zum anderen wurde das Publikum danach aufgefordert, zum Finale auf die Bühne zu kommen und mitzumachen.

Und so stand dann plötzlich eine zierliche junge Dame dort, die auf eine spontane Einlage nicht unbedingt vorbereitet schien, die von Storm allerdings mit großem Hallo empfangen wurde – vermutlich eine große Nummer in der Berliner Floor-Rocking-Szene. Erst zog sie sich ihren Kettenschmuck vom Hals und stopfte ihr Top in die Hose, klatschte zum Aufwärmen dann ein bisschen mit und sprang schließlich mit ein paar absolut –im B-Girl-Slang würde man wohl anerkennend raunen – „miesen“ Styles in den Ring: Obwohl sie enge Jeans und – autsch! – schmale Lederstiefeletten trug, wusste sie kopfüber den Eindruck zu erwecken, als jogge sie mit Siebenmeilenschritten einen Berg hinauf. Einer dieser Augenblicke des Abends, in denen man sich bei MTVs „Jackass“ oder in einem Werbevideo für Special Effects wähnte – obwohl doch nichts weiter zu sehen war als ein eiserner Wille in einem biegsamen Körper.