piwik no script img

STADTGESPRÄCH„Tretet ab!“

In Griechenland wächst der Unmut über die Regierungspartei Syriza

­Theodora Mavropoulos AUS ATHEN

Ein Chor von Trillerpfeifen ertönt am Mittwochabend in Athen auf dem zentralen Syntagma-Platz ­direkt vor dem Parlamentsgebäude. Sprechchöre donnern in Richtung Parlament. „Betrüger!“, rufen Tausende Menschen, die sich hier versammelt haben, um gegen die griechische Regierung unter Linken-Chef Alexis Tsipras zu protestieren. „Paretithite – Tretet ab!“, fordern sie. Paretithi­te nennt sich die neue Initiative, die hauptsächlich über die sozialen Medien zum Protest gegen die Regierung auf dem Syntagma-Platz aufgerufen hat.

Einer der Organisatoren der Initiative ist der 43-jährige Orchestercellist Manos Epi­tro­pakis. Die Regierung habe kein ideologisches Rückgrat mehr und wälze alles auf die Bevölkerung ab, sagte Epi­tro­pa­kis am Mittwoch vor Beginn der Demonstration gegenüber dem staatlichen Fernsehsender ERT. Man wolle der Regierung zeigen, dass sie vom Volk nicht mehr gewollt ist. „Keine Farben, keine Parteien, keine Gewerkschaften – einfach nur BürgerInnen“, das ist der Slogan der Bewegung, die sich als parteilos präsentiert.

Das ist auch gut so, findet Dimitris Tsapatos. „Jede Gruppierung hat immer wieder versucht, sich zu bereichern“, sagt er. Dass es hier nicht um Parteien und Gruppen gehe, findet der 55-Jährige gut. Er steht neben einem Plakat, das von zwei Männern gehalten wird: „Ihr habt das Land zerstört – haut ab“ ist darauf zu lesen und mit „Ex-Syriza“ gezeichnet. Es solle jetzt endlich mal um das einfache Volk, um den Bürger gehen. Das habe die linke Syriza zu Anfang ja auch immer betont. Er habe Vertrauen in die Syriza gesetzt, sagt er und schüttelt immer wieder den Kopf. Hätte er nicht tun sollen, murmelt der freischaffende Anwalt. Die neuen Steuererhöhungen treffen ihn hart. „Die linke Syriza stand, bevor sie ins Parlament einzogen ist, auch hier und protestierte lautstark gegen die Sparbeschlüsse der damaligen konservativen Regierung, die das Volk gängelten“, lacht Tsapatos bitter auf. Er stünde damals wie heute hier – nur habe er nun seine Partei verloren. Er zuckt etwas hilflos mit den Schultern und zeigt aufs Parlamentsgebäude. „Die sitzen jetzt nämlich fest auf ihren Parlamentsstühlen“, sagt er. Dann fällt er wieder in den Sprechchor mit ein: „Paretithite – Tretet ab!“

„Man kann uns doch nicht immer wieder wie Sklaven verkaufen“, entrüstet sich auch der Architekt Lefteris Vergios. Nein, gewählt habe er die jetzige Regierung nicht, so der 60-jährige Mann in blau-weiß kariertem Hemd. „Aber dass Tsipras uns so an der Nase herumführt, hätte ich nicht gedacht“, sagt er. Als Architekt habe er momentan so gut wie keine Aufträge. Hätte er nicht 30 Jahre lang hart gearbeitet und hart gespart, dann sähe es jetzt ganz finster für ihn aus, so Vergios. Denn das Sozialsystem Griechenlands trägt längst nicht mehr. „Ich habe Kollegen und Freunde, die sich nicht mal mehr einen Kaffee leisten können“, fügt er wütend hinzu. Zum Glück habe er keine Kinder, fügt er hinzu. Denn für die Jugend sei dieser Verrat am schlimmsten. Er werde so lange protestieren, bis Tsipras und seine Leute abtreten.

Bevor Vergios in Richtung Parlament geht, dreht er sich noch einmal um. Ja, er sei für Europa. Doch Europa bedeute für ihn ein Miteinander, sowohl innerstaatlich als auch zwischen den Mitgliedsländern. Beides sei momentan nicht gegeben.

Gegen 21 Uhr (Ortszeit) ist die Demonstration, die am Donnerstagmorgen zu keinen Zeitungsschlagzeilen führt, vorbei. Musik schallt über den Syntagma-Platz: „Final Countdown“ – von der Gruppe Europe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen