Berliner Szenen: Demo auf anderem Erdball
Wohin fährst du?
Fup will nicht aufstehen. Ich könnte ihn natürlich an den Füßen aus dem Bett ziehen oder rütteln, aber das wäre kein guter Start in den Tag. Alles schon ausprobiert. Einfühlsam frage ich ihn, wie er geschlafen habe. Gut, sagt er. „Hast du was geträumt?“ Ja, sagt Fup. „Und was?“ „Ich war auf einem anderen Erdball“, sagt Fup. „Und was war da?“ – „Da war eine Demo.“ – „Eine Demo? Was wollte die denn?“ – „Die wollte, dass ihre Freunde nicht getötet werden“, sagt Fup, ohne näher ins Detail zu gehen.
Demo auf einem anderen Erdball? Das hört sich ein wenig nach Star Wars an. Ich dachte, Star Wars wäre out. Vielleicht die Nachwehen? Fup ist merkwürdig still. Auf dem Weg in die Schule sieht er vollkommen abwesend vor sich hin, als wäre er auf einem anderen Erdball. Das merke ich, weil er mich auf einmal fragt: „Wohin fährst du mich?“– „In die Schule. Wie jeden Morgen“, sage ich. Er nimmt meine Antwort fatalistisch und ohne weiteren Kommentar zur Kenntnis. Ich parke gerade vor der Schule in der zweiten Reihe, als Fup aus seiner Lethargie erwacht. Er reißt die Türe auf und schreit „Amar! Amar! Warte auf mich.“ Er schreit das wie ein Ertrinkender, der endlich Land sieht. Im Wegrennen ruft er noch „Bring meinen Schulranzen mit.“
Also trage ich ihm den Schulranzen hinterher zu seinem Klassenzimmer, obwohl man das nicht soll als Elternteil. Glaube mich jedenfalls zu erinnern, dass das mal jemand sagte. Vor Kurzem verabschiedete er sich noch überschwänglich von mir. Jetzt nicht mehr. Ich sage noch Tschüss, aber da ist er schon weg. Schade, denke ich, und werde ein wenig melancholisch. Geht das wirklich so schnell? Quasi von einem Tag auf den anderen? Wird er jetzt erwachsen? Will er ab jetzt nichts mehr von mir wissen? Dann soll er jetzt auch bitte schön seinen Schulranzen selbst tragen. Klaus Bittermann
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