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Tanz mit geballten Fäusten

Choreografie Von Posen und Positionen: „Resisting Bodies“ untersucht im Kunstverein Harburger Bahnhof den Körper als Ort, an dem politisches Handeln seinen Anfang nimmt – und damit auch der Widerstand

Typische widerständige Körperpraxis: Zunge weit rausstrecken! Foto: Anja Winterhalter

von Katrin Ullmann

Lang strecken sie die Zunge raus, verdrehen ihre Augen und Körper, schneiden Grimassen und Fratzen. Es ist eine umissverständliche Kampfansage, voll geballter, gebündelter Aggression. Wild stampfen sie mit den Füßen auf, klatschen in die Hände. Erst langsam, dann immer schneller werdend. Der ganze Mensch befindet sich im Rhythmus. Das Klatschen wird lauter. Ob Boden, Raum oder Körper: Alles ist jetzt Resonanz.

Es sind vier Tänzerinnen, die sich da in Rage bringen, sich verrenken und verdrehen. Gelenkt und geleitet von klaren choreografischen Anweisungen performen sie einen Haka. Haka, das ist ein ritueller Tanz der Maori, laut, kraft- und eindrucksvoll. Und tatsächlich könnte man meinen, so, ja, genau so muss ein Kriegstanz, oder zumindest getanzter Widerstand aussehen.

Doch stimmt das? Ein Haka wurde zwar auch – und dann in vollem Waffendekor – zur Einschüchterung des Gegners aufgeführt, meist aber zu Unterhaltung oder zur Begrüßung. Mittlerweile hat dieser Tanz schon fast Folklorecharakter mit weit geöffneten Grenzen in Richtung Cheerleading. Schließlich wird bei manchem neuseeländischen Rugbyspiel dieser archaische, rituelle Tanz als lautstarkes, Adrenalin verströmendes Wettkampfspektakel zwischen den gegeneinander antretenden Mannschaften inszeniert.

Kann man Widerstand überhaupt tänzerisch darstellen? Wie organisiert sich, wie bewegt sich ein widerständiger Körper? Was könnte eine Technologie des Widerstands sein? Wie könnte man eine Methode entwerfen, ein Training, mit der man sich für den politischen Widerstand bereit macht?

Diesen Fragen geht die Tänzerin und Choreografin Ursina Tossi in ihrer jüngsten Arbeit nach. Ab Donnerstag wird „Resisting Bodies“ für vier Tage im Harburger Kunstverein zu sehen sein. In den Räumlichkeiten des ehemaligen Wartesaals Erste-Klasse-Reisender. Irgendwo zwischen Fernbahnstrecke und Nahverkehr.

In „Resisting Bodies“ versteht Ursina Tossi den Körper als einen Ort, an dem das politische Handeln und damit auch der mögliche Widerstand ihren Anfang nehmen. Gemeinsam mit den Tänzerinnen Nora Elberfeld, Angela Kecinski und Silvana Suarez Cedeño hat sie den Abend erarbeitet. Inhaltlich setzt Tossi ihre Untersuchungen zu hierarchischen Strukturen fort – nach „Unter Hirschen“ (2013), „your outside is in and your inside is out“ (2014) und „Excellent birds“ (2015). Ästhetisch eingebettet ist ihre jüngste Arbeit in die eigenwillig-spielerischen Overhead-Projektionskunsträume von Katrin Bethge sowie die Sounds von Johannes Miethke.

Widerstand, das bedeutet vor allem Blockade, Stocken, Innehalten. In Kombination mit Tanz, der aus und durch Bewegung entsteht, wähnt man sich da schon wieder auf der falschen Fährte. Tanz und Widerstand – ist das nicht völlig widersprüchlich und eher kontraproduktiv? „Sich dieser Unmöglichkeit anzunähern, sie zu untersuchen, das fand ich gerade interessant“, entgegnet Ursina Tossi. „Wenn der Körper etwas aufhalten möchte“, fährt sie fort, „oder wenn er sich überhaupt in Bewegung setzen möchte, dann braucht er einen Widerstand. Das heißt: Die grundsätzlichen Impulse des Körpers wie etwa Gehen oder Stehen sind nur möglich, weil man der Gravitation etwas entgegensetzt.“

Inhaltlich nimmtder Abend Bezugauf die lange Historie von Widerstands­bewegungen

Inhaltlich nimmt der Abend Bezug auf die lange Historie von Widerstandsbewegungen, hinterfragt deren Gesten und Strategien – man wird (auch) geballte Fäuste und zum Trichter geöffnete Hände sehen – verweist auf Posen, Positionen und Resignation. Von Black Panthers bis Occupy, von Straßenkämpfen, Sitzblockaden, Demonstrationen und Protesten.

Praktiken aus dem passiven Widerstand seien während der Probenzeit zentral gewesen, erläutert Tossi. Etwa wenn es darum geht, „nicht zu reagieren, sondern durchlässig zu sein; eben nicht in die Muskelkraft oder in die Kontraktion zu gehen und stattdessen auf eine Totalentspannung hinzuarbeiten. Dann ist es sehr schwer, diese Person wegzutragen. Wenn Spannung auf Spannung trifft, kann man immer mit der Hebelkraft arbeiten. Aber wenn sich jemand komplett entspannt, hat man keinen Zugriff mehr.“

In der direkt erfahrbaren Körperlichkeit sind Widerstand und Tanz einander ganz nah. Und auch in dem Bestreben, ein Ensemble zu sein, eine Gruppe, eine starke Gemeinschaft. Sie seien während der Proben immer wieder damit beschäftigt gewesen, mehr zu werden im Raum, erklärt Tossi, „mit verschiedenen Mitteln, etwa auch durch die Sounds, versuchen wir vier, uns zu vervielfachen“.

Denn multipliziert man die an einem Protest Beteiligten, organisiert man den Widerstand in einer größer werdenden Gruppe, gelingt es, Menschenmengen zu aktivieren, dann spricht man von einer Widerstandsbewegung. Bewegung wiederum ist Körperlichkeit – und schließlich (auch) Tanz.

Do, 16. Juni, bis So, 19. Juni, je 20 Uhr, Kunstverein Harburger Bahnhof

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