Zum Wohlsein!

Mit zehn Jahren Verspätung ist der Wellness-Boom in Schleswig-Holstein angekommen. Wellness-Weihnacht in Heide? Männer-Wellness in Malente? Alles da, solange aus eigener Tasche bezahlt wird

von Esther Geißlinger

Noch vor gar nicht langer Zeit waren die Dinge, die ein Urlauber in Schleswig-Holstein erleben konnte, ziemlich begrenzt: Am Strand liegen und zugucken, wie die Kleinen Burgen bauten und sich ihren jährlichen Sonnenbrand holten. Mit dem Fahrrad über Feldwege holpern. Spazierengehen. Falls es regnete, gab es irgendwo ein Museum oder einen wackelige Dia-Vortrag. Der Urlauber hieß im besten Fall „Feriengast“, im schlimmsten “Fremder“, der in einem muffigen „Fremdenzimmer“ hauste.

Die Zeiten sind vorbei: Heute ist der Urlauber ein Objekt der Begierde, der Tourismus in vielen Regionen das wichtigste wirtschaftliche Standbein. Also wird viel geboten. Am Strand einen Ball werfen? Out. „Beachen“ heißt das heute, was nicht etwa „stranden“, sondern „Beachvolleyball spielen“ bedeutet. Statt zum „Rad fahren“ wird zum „Biking auf dem Ochsenweg“ eingeladen. Und das Ganze ist überschrieben mit dem Zauberwort: Wellness. Alles ist Wellness in Schleswig-Holstein: Der Spaziergang in der Herbstsonne, die Wellness-Weihnacht in Heide, und sogar die aktuelle Temperaturansage auf der Homepage von Glücksburg an der Ostsee heißt „Ihr Wellness-Wetter“.

Wellness hat ja etwas mit Wohlsein zu tun, allerdings nicht im Sinne von Prösterchen und hoch die Tassen. Obwohl: Ganz ausschließen lässt es sich nicht, dass nach einem Besuch im Hochseilgarten von Malente, im Internetportal der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein (TASH) unter der Rubrik „Wellness für Männer“ geführt, nicht auch das eine oder andere Bier gezischt wird. Wenn‘s denn dem Wohlsein dient. „So darf das aber eigentlich nicht sein“, sagt TASH-Sprecherin Ulrike Pech. Denn, so definiert sie: „Wellness ist etwas, das am Körper gemacht wird.“ Also Massage, Thalasso, Bäder oder Sauna: „Und wir prüfen nach qualifizierten Standards.“

Auf jeden Fall ist klar: Wellness ist das Pferd, das den Tourismus-Karren aus den Pfützen ziehen soll – gerade in einem Jahr wie diesem, in dem es “teilweise einige schlechte Tage“ gab, wie die TASH-Sprecherin formuliert. Die haben sich auf die Bilanzen niedergeschlagen: Allein im Juni ging die Zahl der Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr um 6,1 Prozent zurück, meldet das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig- Holstein. Im gesamten ersten Halbjahr 2005 gab es ein Minus von 2,8 Prozent. Dennoch: „Die Zufriedenheit der Kunden ist trotz des Wetters sehr hoch“, sagt Ulrike Pech - das habe eine Umfrage der TASH ergeben. Schon beim Buchen einer Reise hätten Gäste nach Alternativen zum Strand gefragt, etwa Museen, Sport oder Veranstaltungen wie die Konzerte des Schleswig- Holstein Musikfestival - das übrigens im TASH-Wellness-Portal als „Wellness für die Ohren“ bezeichnet wird. Allerdings, gibt Ulrike Pech zu: Der Sommer 2005 war „keine Steilvorlage für das nächste Jahr“.

Also muss noch mehr Indoor-Wellness her, auch für die trübe Nach- und Vorsaison, und gerne hochwertige Angebote wie etwa die „Seerosen-Therme“ in Glücksburg. 14,2 Millionen Euro soll dieses städtische Projekt kosten, eingeplant sind Schwimmbecken, Rutsche und natürlich ein großer Wellness-Bereich mit Sauna, Dampfbad, Solarium. Ausgelegt ist die Therme für 250.000 Gäste pro Jahr: Da darf das Glücksburger-Wellness-Wetter gern einen Wellness-Wolkenbruch oder gar einen Wellness-Dauerregen bringen.

Von den Gesamtkosten hat das Land die Hälfte – sieben Millionen Euro – zur Verfügung gestellt. Das Geld stammt aus dem Europäischen Fond für regionale Entwicklung (EFRE), es ist der höchste Betrag für ein touristisches Infrastrukturprogramm, das seit Beginn der Förderung im Jahr 2000 bewilligt wurde. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen überbrachte die Bewilligung persönlich, dann reiste er weiter nach Damp – dem Ostseebad, das 1973 als Ferien- und Gesundheitszentrum eröffnet wurde. Die Damp Holding ist heute einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Schleiregion: Sie bietet Urlaub, Kuren, Rehabilitation und natürlich Wellness an.

Warum Wellness so wichtig ist, lässt sich allerdings an einem alten Badeort wie Sankt Peter-Ording besser sehen als am modernen Damp. Im 19. Jahrhundert entstand der heutige Ortsteil Bad zwischen den Fischerdörfer St. Peter und Ording: Damals kamen die ersten Sommerurlauber, der guten Luft und des Wassers wegen. Denn damals entwickelte sich langsam das Kurwesen als Luxus für die Reichen.

Später durften auch normale Menschen Kuren auf Kosten der Krankenkassen antreten. Gemeinden bemühten sich um die Titel Seebad, Heilbad oder Luftkurort, um entsprechende Kliniken und kurende Gäste anzuziehen. Doch dieser Riesenmarkt ist zusammengebrochen: „Die Zeiten, in denen man sich dann und wann eine Kur gönnen kann, sind leider vorbei“, sagt der Sprecher der Ersatzkassen in Schleswig-Holstein, Oliver Grieve. „Kuren werden kaum mehr bezuschusst, es werden nur noch die reinen Therapieanteile übernommen.“ Das heißt: Die Kasse zahlt – falls der Antrag durchkommt – die Behandlung, aber Anreise und Hotel muss der Kurwillige selbst berappen.

Und wer es sich leisten kann, bucht gleich Wellness: Das klingt schicker als Kur, und es gibt mehr Angebote. Die Krankenkassen erkennen Wellness-Ausflüge in der Regel nicht als förderfähig an: „Wir freuen uns natürlich, wenn die Leute sich wohl fühlen, das dient der Gesundheit“, sagt Grieve. „Aber das ist nicht Sache der Kassen.“