: Fragwürdige Indizien
Der Titel der Werkschau des Künstlerduos Korpys/Löffler in der Kunsthalle Tübingen, „Personen, Institutionen, Objekte, Sachen“, erinnert an die 1970er RAF-Jahre
Von Carmela Thiele
Die Tübinger Wohnung, die RAF-Mitgliedern als Unterschlupf diente, ist unauffällig. „Bücherregal vom Schreibtisch bis zur Decke“, heißt es in der Tatortbefundaufnahme des Landeskriminalamts (LKA) von 1985. Es werden nicht nur Fingerabdrücke von gesuchten Terroristen gesichert, es wird auch die Lektüre der Bewohner unter die Lupe genommen. Und wer wissen will, was die dritte Generation der Rote-Armee-Fraktion so gelesen hat, kann jetzt in der Kunsthalle Tübingen ganz nah herantreten an eine Zeichnung des Künstlerduos Korpys/Löffler, die 1:1 zwei Regalbretter aus der besagten Einliegerwohnung des Reihenhauses Friedrich-Zundel-Straße 2 zu rekonstruieren scheint.
Der nüchterne Titel der Ausstellung „Personen, Institutionen, Objekte, Sachen“ ist wie viele Werktitel ein Zitat – aber er hat es in sich. Kriminalbeamte und BND-Mitarbeiter wissen, was gemeint ist: die Datenbank Pios, die der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamts, Horst Herold, in den 1970er Jahren zur Bekämpfung der RAF aufbaut. Das Ziel der Rasterfahndung ist, möglichst viele Informationen zu sammeln, um per Ausschlussverfahren verdächtige Personen zu ermitteln. Pios ist auch der Titel einer Multi-Channel-Installation des Künstlerduos. Weil ihnen der Zutritt zum Neubau des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Berlin verwehrt blieb, griffen sie in ironischer Umkehr das Pios-Prinzip als künstlerisches Verfahren auf. Mit Kamera und Mikrofon forschen sie das Umfeld des Geheimdienstbaus aus, suchen in den geräumten Wohnungen der Nachbarschaft nach Indizien, die sie akribisch dokumentieren. Beschreibungen ihrer Funde geben sie per Telefon an geheime Stellen des BND durch. Die aus dem Kontext gerissenen, auch poetisch anmutenden Durchsagen werden mitgeschnitten und sind nun für die Ewigkeit im BND archiviert.
RAF, Pios, BND? Die Frage ist berechtigt, ob wir es mit Künstlern zu tun haben, die Position beziehen, etwa vor dem Staat im Staate warnen. Andree Korpys lässt sich von solch einer Frage nicht aus der Reserve locken. Was Politik eigentlich ist? Da gehe es doch um eine Debatte verschiedener Positionen und um das Aushandeln eines Kompromisses – ihnen als Künstler seien aber ganz andere Dinge wichtig. Wenn man den Politikbegriff aber weiter fasst, ist ihre Arbeit fraglos politisch, denn was tun sie anderes, als Strukturen der Macht zu hinterfragen oder wie in „Nuclear Football“ staatspolitische Zeremonien als symbolisches Puppentheater zu entlarven.
Mit dem 30-minütigen Film setzen sie den TV-Bildern von Staatsbesuchen Impressionen in Zeitlupe entgegen. Das Rollfeld, die Air-Force-One-Maschine, der Moment, bevorPräsident Bush mit Bundespräsident Rau 2002 in Berlin die Ehrengarde abschreitet. Die Kamera sucht nach beiläufigen Bildern, verweilt auf der Security, den Reportern, erfasst einen Mann mit Sonnenbrille, der mit einem schwarzen Koffer die hintere Flugzeugtreppe herunterkommt.
Nicht nur in ihren Filmbildern folgen Korpys/Löffler einer ganz eigenen Ästhetik. Der aus neuer Musik, Originaltönen und Geräuschen kreierte Filmsound ist integraler Bestandteil ihrer Skepsis gegenüber dem scheinbar Authentischen. Für „Nuclear Football“ verwendeten sie Airport Ambient Sounds von Brian Eno, für ihren Filmessay zum Areal um das New Yorker World Trade Center, „Reflecting Absence“, eine Komposition von Helmut Lachenmann und „Gesang der Jünglinge“ – ein Stück von Karlheinz Stockhausen – ist mit Videobildern eines Taser-Workshops der Polizei unterlegt. Verführerisch lullt uns der Sound der raffinierten Multi-Channel-Video-Installationen ein.
Ihr Frühwerk hingegen trat meist karg, abweisend und provokativ auf. Die Fotos sind unspektakulär, die Videos amateurhaft, ließen die Künstler anfangs auch mal kleine Modelle berühmter Skulpturen der Moderne explodieren. Erst im Laufe der Jahre geht das Künstlerduo auf differenziertere Methoden der „Bild-Hauerei“ über. Sie experimentieren mit alltäglichen Formen der Darstellung. Zur Werkgruppe „Konspiratives Wohnkonzept“ etwa gehören Profizeichnungen eines Designerbüros, bei dem Korpys/Löffler die Einrichtung eines Zimmers im Stile der 1970er Jahren in Auftrag gegeben hat. Von Beginn an spielen auch biografische Bezüge eine Rolle, so sind Jugendvideos von Markus Löffler in mehrere Installationen integriert.
Auch zitieren die Künstler gerne ungekennzeichnet Passagen aus der Literatur, von Brecht, der RAF, Rainer Werner Fassbinder oder aus dem Handbuch des Verfassungsschutzrechts. Wer also eine Arbeit von Korpys/Löffler beschreibt, begibt sich auf Glatteis, denn die dokumentarisch erscheinenden Bilder erweisen sich womöglich als Mix vielfältiger Einflüsse oder Zitate. Der Blick auf das historische Geschehen – so könnte ein Fazit lauten – ist nicht objektivierbar, was dokumentarisch daherkommt, kann eine glatte Lüge sein, und umgekehrt. Und so spiegelt auch die große Zeichnung des Tübinger Bücherregals vielleicht nur Wahrheit vor. Denn womöglich war das Polizeifoto nicht ganz scharf, die Schrift auf den Buchrücken viel zu klein, um die Buchtitel einwandfrei identifizieren zu können. Aber das ist fast nebensächlich. Entscheidend ist die Tatsache, dass die Besucher auf Schriften stoßen, die nicht nur die RAF, sondern auch sie selbst einmal wie einen Schatz gehütet haben.
Bis 18. 2., Kunsthalle, Tübingen, Katalog (Wasmuth) 18 Euro
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