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Der perfekte Ort für spielendes Lernen

Vögel Krähen sind schlaue Tiere. Sie haben entdeckt, dass sie die Dichtungen auf dem Glasdach des Hauptbahnhofs lockern und damit allerhand anstellen können. Das war absehbar

Wenn man zurzeit im Sonnenschein vor dem Hauptbahnhof auf das Dach schaut, scheint die Lage ruhig. Und wenn es dann doch mal regnet, bleibt es im Innern in der Regel trocken. Das war schon mal anders und führte vor fünf Jahren im Dezember zu viel Aufregung. Immer wenn es regnete, tropfte Wasser durch das Dach in den Innenraum des Bahnhofs und hinterließ kleine Wasserlachen.

Schuld daran waren die Krähen, die entdeckt hatten, dass sie die Dichtungen auf dem Dach lockern und mit ihnen spielen können. Dass es eventuell auch der Fehler der Architekten und der ausführenden Baufirmen sein könnte, die den Dachschaden dadurch verursacht haben, dass sie Materialien verwendeten, die sich von den Krähen her­auspicken lassen, spielte bei der Schuldzuweisung keine Rolle.

Kein neues Phänomen

Dabei sind weder die Krähen noch ihre Fähigkeit, Dachdichtungen zu lockern, ein neues Phänomen. Auf ähnliche Weise hatten Krähen schon früher die Dächer des Olympiastadions oder des Fußballstadions in Hannover undicht gemacht. Im Herbst und Winter kommen Hunderttausende von Krähen aus ihren Brutgebieten in der russischen Ebene sowie aus Polen nach Deutschland. Es handelt sich dabei um klassische Zugvögel, die im Frühjahr Deutschland wieder verlassen.

In die Städte treibt es die Vögel seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Sie wichen damit der teilweise totalen Verfolgung durch Menschen aus, die sie ohne Schonzeit das ganze Jahr über bejagten und ihre Nester zerstörten. Zuerst kamen sie dabei nur als Wintergäste, bis sie mancherorts entdeckten, dass Städte auch als Brutplatz geeignet sind. So kam es im 20. Jahrhundert etwa in Frankfurt am Main, Trier und München zu Ansiedlungsversuchen. Berlin blieb aber immer zuerst ein besonders attraktiver Ort im Überwinterungskalender der Vögel.

Es versammeln sich jedes Jahr Zehntausende russischer und polnischer Saatkrähen und Dohlen im Winter in Berlin an ihren Schlafplätzen um den Alexanderplatz. Dass die Vögel das Dach des Hauptbahnhofs als Sammlungsort entdecken würden, war vorhersehbar. Das Dach bietet einen hervorragenden Ausblick, und im Wind ums Dach lässt es sich sehr gut im Fliegen spielen.

Die Vorliebe der Vögel zum Spiel im Wind oder mit allen möglichen Gegenständen gehört zur Erfolgsgeschichte ihrer Ausbreitung. Im Spiel zufällig erworbene Kenntnisse sind bei Krähen immer wieder zu manifesten Techniken geworden, die zur Nahrungsbeschaffung dienen. Cord Riechelmann

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