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Zwei Welten werden eins

Jazz Auf „What was said“ verbinden Simin Tander und Tord Gustavsen Sufismus und christliche Mystik

Visionär: die Deutsch-Afghanin Simin Tander Foto: Steve Brookland

Für ihre feinfühligen Jazzkompositionen wird die Kölner Sängerin Simin Tander mittlerweile in ganz Europa geschätzt. Auf ihrem neuen Album „What was said“ (ECM) erkundet sie neue sakrale Klangräume, und ihr Partner am Piano ist ein Spezialist für gerade diese Sorte Innerlichkeit.

„Tord Gustavsen schafft es auf eine ganz natürliche Art, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf kleine Melodien, auf einen einzigen Ton. Er fühlt sehr schnell den Kern eines Stückes“, schwärmt Tander von ihrem musikalischen Partner. Der Norweger wurde in ein protestantisches Umfeld hineingeboren und sammelte von klein auf Erfahrung mit Kirchenmusik. Aus Interesse für mystische Traditionen verschiedenster Kulturen beschäftigte er sich auch mit Gedichten muslimischer Sufimystiker.

Tander kennt Gustavsens Arbeit seit ihrem Studium, er wiederum schätzt ihre Stimme und ihren Ansatz, Jazziges auf Paschtu, der Sprache ihres Vaters, zu singen. Der Klang dieser Sprache brachte beide auf die Idee, alte Hymnentexte, die von Pastoren, Professoren und Pädagogen im 18. und 19. Jahrhundert auf traditionelle norwegische Melodien gedichtet wurden, neu zu vertonen. „Tord wollte die Texte aus ihren konservativen Fesseln heben und sich auf das mystische Potenzial konzentrieren“, so Tander. „Und für mich war es wichtig, dass die Verse so verändert werden, dass auch ich ohne den engen Bezug zur christlichen Lehre eine Verbindung dazu aufbauen kann.“

In sensibler Detailarbeit entstand die Übertragung. Wer nun zum Beispiel die Neufassung einer ehemals evangelisch-lutherischen Hymne von Peter Jacobsen Hygom mitliest, erfasst die Verschmelzung mit dem Göttlichen so, wie sie auch der persische Mystiker Dschalal al-Din Rumi hätte beschreiben können. Tanders hauchende, suggestive Stimme und die reduzierten Pianolinien verströmen meditative Ruhe. Mit fantasiereichen rhythmischen Impulsen durchwirkt der Schlagwerker Jarle Vespestad das Geschehen.

„Im Zentrum steht die Hingabe, ohne den Hauch von etwas Forciertem“, fasst Tander den Charakter der Musik zusammen. „Da die allermeisten Hörer die Worte nicht verstehen, erschließen sie sich das Kontemplative über die Klänge“, glaubt sie. Für die ergänzenden Songs, die auf Texten von Rumi basieren, wurde die englische Fassung von Coleman Barks gewählt. Gustavsen hat die Rumi-Poesie eng am Wortrhythmus vertont und so eine rezitative Atmosphäre geschaffen. In ihr wirkt die Dichtung ganz unmittelbar, etwa im Titelstück „What Was Said“: Die Hingabe an das Göttliche wird beschrieben als die Kraft, die eine Rose dazu bringt, sich zu öffnen.

Sufismus und christliche Mystik in Eintracht – in einer Zeit, in der das Gespenst eines „Kampfs der Kulturen“ omnipräsent scheint, kann das auch ein Signal sein. Doch Tander relativiert: „Wir wollen das nicht explizit kommunizieren“, betont sie. „Vielmehr als um politische Zeichen geht es uns um einen leidenschaftlichen und persönlichen Bezug zum Thema Spiritualität, der in der Musik weiterfließt.“ Stefan Franzen

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