piwik no script img

Archiv-Artikel

Selbstverschuldete Unwissenheit?

Während Kultursenator und Führung des Bremer Theaters nach einer Lösung der Liquiditätsprobleme suchen, tauchen neue Fragen und Hinweise auf: Danach hätte das Kulturressort das Ausmaß der Finanzprobleme schon länger erkennen können

Bremen taz ■ In der Auseinandersetzung um die Liquiditätsprobleme des Bremer Theaters verschärft sich der Ton. „Einige haben noch nicht begriffen, dass wir jetzt in die Zukunft blicken müssen“, erklärte gestern Kultursenator Jörg Kastendiek (CDU) mit Nachdruck. „Die Verantwortung liegt eindeutig im Hause des Theaters.“ Es sei „verantwortungslos“, dass Intendant Klaus Pierwoß die Frage nach der Verantwortung „auf dem Rücken der Mitarbeiter“ austrage. Über eine Lösung für das Theater, so Kastendiek, könne jedoch erst gesprochen werden, „wenn alle Zahlen auf dem Tisch liegen“. Bislang habe es jedoch nur „unvollständige Informationen“ gegeben. Ähnlich äußerte sich die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Carmen Emigholz: „Die tatsächliche Lage wurde uns nicht transparent gemacht.“

Zugleich melden Finanzfachleute jedoch Zweifel an, ob die Höhe der Liquiditätsprobleme tatsächlich derartig unabsehbar gewesen sei. Einen Fehlbetrag von rund 2, 5 Millionen Euro, hatte gestern Senator Kastendiek selbst als „nichts Unübliches in den letzten sieben, acht Jahren“ bezeichnet. Darüber hinaus, so Kritiker, die ungenannt bleiben wollen, seien dem Theater nach den Einsparungen im Kulturhaushalt 2004 von rund 730.000 Euro und weiteren 1, 1 Millionen in 2005 staatliche Nachzahlungen zugesagt worden. Bislang seien jedoch insgesamt nur 1, 2 Millionen überwiesen worden, so dass bis heute ein Fehlbetrag von rund 600.000 Euro bleibe. Hinzu komme das seit Ende 2004 bekannte Defizit von 580.000 Euro durch die Überziehung des künstlerischen Etats. Ergo: Seit Monaten konnte sich jeder ausrechnen, dass das Bremer Theater ein Liquiditätsproblem von rund 3, 7 Millionen Euro vor sich herschob.

Darüber hinaus wird gemunkelt, dass die Qualität der monatlich aktualisierten Finanzpläne, die das Theater der staatlichen KEB (Kultureinrichtungsförderung Bremen) vorlegt, in der Kulturbehörde schon länger bezweifelt werde. Dennoch habe niemand eingegriffen. Dagegen genieße der kürzlich entlassene kaufmännische Geschäftsführer des Theaters, Lutz-Uwe Dünnwald, der von Intendant Pierwoß nachträglich scharf kritisiert wurde, einen guten Ruf.

Derzeit wird über das weitere Vorgehen verhandelt, wobei der kurzfristig erkrankte Klaus Pierwoß durch seinen Chefdramaturgen vertreten wird. Senator Kastendiek forderte gestern „hohe Eigenanstrengungen“ vom Bremer Theater und schloss personalwirtschaftliche Konsequenzen nicht aus. Er betonte, dass beide Geschäftsführer des Theaters, also auch Intendant Pierwoß, gesamtverantwortlich seien. Auswirkungen des Debakels auf die Bewerbung um die Pierwoß-Nachfolge fürchtet er nicht. Man wolle versuchen, das Theater bis dahin – Pierwoß‘ Vertrag läuft 2007 aus – „altlastenfrei“ zu haben. Kastendiek zufolge ist „die Bereitschaft im Senat, dem Theater immer wieder unter die Arme zu greifen, ziemlich eingeschränkt“.

Kulturstaatsrätin Elisabeth Motschmann (CDU) wollte sich zur Sachlage ebenso wenig äußern wie der Leiter der KEB. Motschmann war vom SPD-Abgeordneten Frank Pietrzok als Konsequenz der Vorgänge um das Theater zum Rücktritt aufgefordert worden, was Kastendiek jedoch zurückgewiesen hatte. Pietrzoks Parteikollegin Emigholz nannte die Rücktritts-Forderung „die persönliche Meinung des Abgeordneten Pietrzok“. Die Besetzung der Kultur-Staatsrätin sei ausschließlich Angelegenheit des Koalitionspartners CDU. Karin Krusche, Grüne Kulturpolitikerin, forderte hingegen, „nicht jeden Herbst aufs Neue das Theater durchs Dorf zu treiben, ordentlich Stimmung zu machen, um vom eigenen Fehlverhalten abzulenken“. Statt dessen müsse das Finanzchaos beendet werden: Das Kulturressort solle die ausstehenden Theater-Gehälter sichern und mit Intendant und Belegschaft eine Konsolidierung erreichen.

Am Freitag trifft sich der Aufsichtsrat des Theaters, dem sowohl Jörg Kastendiek als auch Carmen Emigholz angehören. Auch wird das Theater auf einer Betriebsversammlung über ausstehende Oktober-Gehälter beraten. F. Gräff