Sauer Kohl, Kraut und Korea bilden einen Dreiklang, der auch deutsche Esser zunehmend erfreut. Die Berliner Restaurant-Inhaberin Johanna Jester erklärt, warum Blutwurst sehr koreanisch ist: „Kimchi ist eine hübsche Kleinigkeit“
Interview Jörn Kabisch
taz.am wochenende: Frau Jester, wie erklärt man einem Europäer, der noch nie in Korea war, das Besondere diese Küche?
Johanna Jester: Das funktioniert mit einem Wort: Fermentation.
Also saures Gemüse?
Ja, traditionell stehen bei jedem koreanischen Essen Beilagen mit auf dem Tisch, sogenannte Banchan. Es sind mindestens drei, in der Palastküche zwölf. Und fermentiertes Gemüse ist ein fester Bestandteil. Es gibt dabei ganz unterschiedliche Techniken und Rezepte, Gemüse milchsauer einzulegen. Mal wird mit sehr schnellen Gärprozessen gearbeitet, mal wird die Fermentation immer wieder gestoppt und verlangsamt. Das funktioniert mit Chinakohl, Rettich, Gurken …
… und das alles heißt dann Kimchi?
Nein, Kimchi ist tatsächlich nur scharf-sauer eingelegter Chinakohl. Sonst findet man unter den Beilagen oft auch noch frittierte Sardellen, fermentierten Rettich oder marinierten Spinat. Aber Kimchi gehört zum Pflichtprogramm.
Man kann sagen, dass Kimchi das überhaupt koreanischste aller Lebensmittel ist?
Ganz sicher. Es gibt in Korea Kimchi-Museen, seit vorigem Jahr gehört es zum Weltkulturerbe, jede Familie hat eigentlich ihr eigenes Rezept dafür. Und für jede Jahreszeit existieren eigene Kimchi-Arten, es gibt spezielle Rezepte für bestimmte Gerichte. Alles aus Chinakohl. Auf den Märkten gibt es ganze Gänge nur mit Kimchi-Ständen. Und jedes schmeckt anders.
Was für eine Vielfalt! Und da werden die Deutschen wegen des Krauts „Krauts“ genannt, bei den Koreanern ist noch niemand auf die Idee gekommen.
Das könnte daran liegen, dass Sauerkraut auf deutschen Tellern immer viel Platz einnimmt, neben Würsten und Kartoffelstampf. Bei uns ist Kimchi neben vielen anderen Dingen eine hübsche Kleinigkeit.
Was ist mit Reis? Gehört der auch fest zu den Beilagen?
Es ist ein großes Missverständnis der Europäer, dass in Asien Reis fester Bestandteil des Essens ist. Natürlich spielt Reis eine große Rolle in der Küche, man isst ihn zum Frühstück, es gibt spezielle Reisgerichte wie Bibimbap, und bei Essen mit mehreren Gängen ist Reis oft der letzte Gang.
Geboren in Seoul. Inhaberin des „JoLee“, auf Koreanisch „Fein Kochen“, im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Küchenchef ist Felix Metzger, der vorher in Sterne-Restaurants wie dem „Margaux“ und „Reinstoff“ gekocht hat.
Wird in Korea eigentlich auswärts gegessen?
Ja, sehr viel. Das liegt einfach an den Platzverhältnissen, die Wohnungen sind klein, man lädt sich auch nicht gegenseitig zum Essen nach Hause ein, sondern man geht aus. Im Alltag wird am Imbiss gegessen. Wenn man ein Restaurant besucht, werden gleich mehrere Gänge serviert.
Koreanische Küche ist schon seit ein paar Jahren stark im Trend, vor allem in Berlin. Woran liegt das?
Angefangen hat es in Berlin mit Korean BBQ. Und ich glaube, das ist etwas, was viele Leute fundamental anspricht. Das rohe Fleisch vor sich zu haben, es auf dem Tischgrill selbst zubereiten zu dürfen, das hat etwas sehr Ursprüngliches. Und zugleich kann man sich sicher sein, das frisch ist, was man auf dem Teller hat.
Viele Leute mögen einfach auch die Glutamat-Küche nicht mehr.
Das kommt hinzu. Das Verständnis für die asiatischen Küchen ist gewachsen. Der Kontinent ist ein beliebteres Reiseziel geworden. Mehr und mehr Menschen wissen: Das China-Restaurant wird nur selten von Chinesen betrieben, Japanisch ist mehr als Sushi. Deswegen ist die Neugier groß, auch der Wunsch nach authentischerem Essen aus Asien.
Wer sind die Gastronomen, die auf diese Wünsche eingehen?
Da kann ich nur für Berlin sprechen. Hier gab es über viele Jahre im Westteil rund ein Dutzend koreanische Restaurants. Das waren richtige Exoten. Es ist hier in der Stadt oft die nächste Generation, die nun wieder eigene Restaurants eröffnet. Sie wollen nicht einfach kopieren, was ihre Eltern machen. Sie stammen aus der gehobenen Mittelschicht mit bildungsbürgerlichem Hintergrund, sie sind in Deutschland sozialisiert und schauen auch nach Großbritannien oder in die USA, wo die koreanische Küche noch früher Trend war. Und sie machen Businesspläne, arbeiten mit Produktdesignern, das ist von Anfang hoch professionell.
Sie gehören auch zu dieser zweiten Generation?
Zur eineinhalbten. Ich bin mit sechs Jahren nach Deutschland gekommen.
Und haben in Ihrem Restaurant eine Speisekarte, die gar nicht so koreanisch klingt. Sogar Blutwurst steht darauf.
Oh nein, Blutwurst ist sehr koreanisch. Und Sie können sicher sein, sie schmeckt sehr typisch, auch wenn wir sie gebraten und nicht traditionell als Eintopf servieren. Wir orientieren uns an einem Konzept, zu dem die Koreaner „modern korean“ sagen. Es ist eine Strömung junger Köche, die im Ausland gelernt und gearbeitet haben, dort gesehen haben, dass man Essen anders anrichten, neue Ideen einbringen und mit modernen Kochtechniken arbeiten kann. Das ist ganz ähnlich wie in den 70er Jahren in Europa, als die Nouvelle Cuisine aufkam. Seit fünf Jahren haben die Koreaner das für sich entdeckt. Es ist eine sehr lebendige Szene, die das zelebriert.
… und wahrscheinlich auch die Geschmäcker verändert.
Nein, der koreanische Gaumen bleibt immer erkennbar. Nur Techniken und Präsentation sind international – und Fermentation ist auch für diese jungen Köche ein wichtiger Begriff.
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