LeserInnenbriefe
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Abgesagt und aufgewärmt

betr.: „Angst vor der Gettoisierung“, taz vom 6. 5. 16

Ich würde mir wünschen, dass die taz sich nicht daran beteiligt, immer reißerischere und skandalisierendere Artikel zu veröffentlichen. Dazu zähle ich den im Betreff genannten. Neben vielem anderen Kritikwürdigem ist es einfach Unfug, dass im „Stadtteil Altenessen (…) seit Jahren libanesische Familienclans die Straße“ beherrschen und die Polizei vergeblich versucht, die Lage in den Griff zu bekommen. Diese unwahre Behauptung dient entweder der Wichtigtuerei oder – was ich einer Zeitung, die ich abonniert habe, nicht unterstellen will – der fremdenfeindlichen Hetze. Vorschub leistet diese Behauptung Letzterer im Übrigen auch unbeabsichtigt. Genau wie der Wiederabdruck eines – in der SPD Essen hochumstrittenen – Aufrufs zu einer Demonstration, die dann wieder abgesagt wurde. Vielleicht aus Einsicht, vielleicht auch nur aus Opportunismus. Aber abgesagt. Warum wird diese unglückselige Affäre nach mehr als drei Monaten in der taz in dieser Art und Weise wieder aufgewärmt?

RENATE HENSCHEID, Essen

Ziemlich selbstherrlich

betr.: „Wehrfähige Juden“, taz vom 28. 4. 16

So wünschenswert wie Jan Feddersens Artikel über die Veranstaltung des Jüdischen Museums ist, so wunderlich sind seine Kommentare.

Erstens benutzt er das Wort „Nakba“ falsch. Damit ist nicht die Niederlage der arabischen Staaten, sondern das Trauma der palästinensischen Gesellschaft gemeint. Im Jahr 1948 wurden ungefähr 700.000 Palästinenser aus dem künftigen Staatsgebiet Israels vertrieben oder sie flüchteten. Das waren etwa zwei Drittel der Palästinenser in diesem Gebiet und die Hälfte der gesamten palästinensischen Bevölkerung. Nach dem Krieg wurden sie nicht mehr von Israel in ihre alte Heimat zurückgelassen, sondern mussten in Flüchtlingslagern in den umliegenden Ländern bleiben. Dort sind sie und ihre Nachkommen immer noch, häufig staatenlos. Die Katastrophe ist also eine seit mehr als sechzig Jahren ungelöste Flüchtlingskrise.

Zweitens verfehlen Feddersens Anmerkungen zum israelbezogenen Antisemitismus das Wichtigste. Solcher Antisemitismus beruht auf einer unzulässigen Verallgemeinerung: Eine Abneigung gegen den Staat Israel wird auf alle Juden der Welt übertragen. Selbst die kürzeste Kritik daran muss die Verallgemeinerung als Kernstück des Rassismus anprangern, was Feddersen aber unterlässt, um stattdessen die Entstehung von israelfeindlichen Positionen psychologisch zu erklären. Dabei blendet er den Kontext aus. In seiner Sicht sind die Gegner Israels schwache Versager, die Israel seine Stärke und seinen Erfolg nicht gönnen. Eine weitere Sichtweise könnte sein: Israel hat mehrmals unzulässige militärische Gewalt angewandt und die Opfer nehmen ihm das übel.

Im Krieg von 1948 hat Israel nicht nur seine Grenzen verteidigt, sondern erheblich erweitert. In dem Sechstagekrieg von 1967 besetzte Israel den Gazastreifen, Sinai, Ostjerusalem, das Westjordanland und die Golanhöhen. Nur den Sinai hat es zurückgegeben, Ostjerusalem wurde 1980 annektiert, die Golanhöhen 1981. Gaza ist zwar geräumt, aber unter einer unmenschlichen Blockade. Libanon wurde 1982 und 2006 angegriffen und Südlibanon war von 1982 bis 2000 von Israel besetzt. Seit 1967 werden kontinuierlich Siedlungen auf beschlagnahmtem Land im Westjordanland errichtet. Sie unterstehen israelischem Recht, sind also eine Form von Annektion, widersprechen der vierten Genfer Konvention und zerstückeln das palästinensische Gebiet. Das „wehrfähig“ zu nennen, grenzt schon an Gewaltverherrlichung. Israel trägt zwar nicht die alleinige Schuld an diesen Kriegen, hat aber in ihrem Verlauf durch Gebietsgewinne, Vertreibungen, Bevölkerungstransfer und Gewalt gegen Zivilisten internationales Recht und die Menschenrechte verletzt. Nichts davon rechtfertigt Antisemitismus, aber die Wut darüber ist ein plausibleres Motiv als die Minderwertigkeitskomplexe, die Feddersen vermutet.

Drittens ist der Text verflucht deutsch-egozentrisch. Das beginnt mit der Vorstellung, dass Nachkommen der Nationalsozialisten und Menschen aus dem Nahen Osten die gleiche Einstellung zu Israel haben werden, und geht weiter mit Abwertung arabischer Perspektiven, die Feddersen von muslimischen nicht unterscheidet. Zum einen können Schüler aus ehemaligen Kolonien sehr wohl von der Ungerechtigkeit des Kolonialismus geprägt sein. Außerdem haben Menschen mit Migrationshintergrund eine eigene Geschichte, die sich nur im letzten Teil mit der deutschen deckt. Sie haben also andere Befindlichkeiten zu berücksichtigen und anderen Ballast aufzuarbeiten.

Ihnen abzuverlangen, dass sie sich „auf den Holocaust als deutsches Kernnarrativ beziehen müssen“, ist eine verschleierte Forderung nach einer deutschen Leitkultur. Immigranten und deren Nachkommen haben keine eigene Geschichte zu haben und sich der deutschen Erinnerungskultur unterzuordnen. Diese Erinnerungskultur ist im Großen und Ganzen ehrlich und bewundernswert, aber Feddersens impliziter Ausschluss von anderen Perspektiven ist ziemlich selbstherrlich. STEFAN JONSSON, Berlin

Sarrazin widersprechen

betr.: „Er ist wieder da“, taz vom 26. 4. 16

Herr Sarrazin kann es leider nicht lassen und polemisiert mal wieder im Sinne von „Deutschland schafft sich ab“. Da muss man doch mal vehement widersprechen und sagen: „Deutschland schafft sich nicht ab, Deutschland schafft sich neu. Und das ist gut so.“ MICHAELA DIEROLF, Tamm