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Das anstrengende Leben jenseits der Pubertät

Garagen-Pop Schwärmen, mitsingen und auf das neue Album warten: die Lieder von Zuckerklub mit ihren klugen Texten

Zuckerklub ist die Band von Marlen Pelny und Chio Show, die bei meiner Lesebühne Rakete 2000 die Musik machen. Dieser Text wird keine objektive Kritik. Zuckerklubs letztes Album kam 2013 und hieß „Wie soll ich sein“ mit Gesang, Gitarre und klugen, lustig-melancholischen Texten über Liebe, Alltag, Kapitalismus und Identität. Ich habe die CD so oft rauf und runter gehört, dass mein Freund drohte, seine alten Punkplatten rauszuholen, als Gegenprogramm. Zu seinem Glück kann ich Zuckerklub nicht hören, ohne ständig alles mitzusingen. Und als Schriftstellerin arbeitet es sich schlecht beim Singen.

Drei Jahre haben wir auf das neue Album gewartet. Nun ist es da. Es heißt „Jeden Moment mit Myri am See“ und ist schönster Garagen-Rock-Pop, diesmal prominent unterstützt durch Vredeber Albrecht und Lars Precht von der 2007 aufgelösten Hamburger Band Blumfeld. Das etwas dominante Schlagzeug spielt Nikolas Basler.

Alle zwei Wochen höre ich Zuckerklub bei Rakete 2000; beobachte, wie Marlen die Gitarren verkabelt, die beiden sich kurz anschauen und dann in völligem Einverständnis miteinander Musik machen. Und trotzdem treibt es mir immer noch das Wasser in die Augen und Gänsehaut auf die Arme. Die große schlanke Marlen mit ihrer hohen leisen Mädchenstimme und die kleine kräftige Chio mit ihrer kratzigen Röhre, die manchmal klingt wie Herbert Grönemeyer.

Auf „Wie soll ich sein“ waren noch Songs, die ganz offen queer waren, ihr bekanntester Song „Anne Will“ mit dem gassenhauerigen Refrain „Ohhh, Anne Will! Und ich will auch Anne Will!“ Auf „Jeden Moment mit Myri am See“ ist die Liebe allgemeingültiger. „Ich schreibe das ja als Mensch“, sagt Chio. „Schon, wenn du Frauenband sagst, denken die Männer doch, sie sind nicht gemeint. Das ist ein Stempel, der sofort gezückt wird, wenn Frauen Musik machen.“

Zuckerklub ist schönster Isolationistenpop. „Jeden Moment mit Myri am See“ ist ein Album über das anstrengende Leben jenseits der Pubertät und die Frage, ob man überhaupt noch groß lieben kann, wenn man die ganze Zeit nur mit arbeiten beschäftigt ist. „Es gibt äußerst viele Gründe, nicht mehr rauszugehen“, heißt es in dem Hit des Albums, „Zimmer für immer“.

Ist die Liebe der Ausweg aus der Realität? Chio: „Die Beziehung ist die einzige Enklave, in der du nichts leisten musst; der einzige Bereich, in dem der Kapitalismus nichts zu sagen hat. Wenn es eine gute Beziehung ist.“ Hier singt ein Liebespaar Liebeslieder über die Bewältigung des Alltags jenseits des Bettes. Man merkt den Texten an, dass da zwei Könnerinnen schreiben. Marlen Pelny ist neben ihrer Musikerkarriere Lyrikerin. Im Oktober 2013 erschien ihr Gedichtband „Wir müssen nur noch die Tiere erschlagen” bei Voland & Quist. Zurzeit arbeitet sie an ihrem ersten Roman.

Chio Show ist Werbetexterin und Lesebühnenautorin. Sie hat Zuckerklub damals 2004 gegründet. Die Band hat viele Metamorphosen durchgemacht. Nun scheint sie angekommen zu sein. Im letzten Lied der Platte, „Herz auf Papier“, heißt es: „Das was bleibt, sind wir. Ein großes Herz auf Papier.“

Ich werde wohl wieder ein paar Wochen lang nichts anderes hören. Lea Streisand

Zuckerklub „Jeden Moment mit Myri am See“. Download in allen Musikportalen, CD ab 1. 5.

Lesebühne Rakete 2000, jeden 2. und 4. Donnerstag im Monat im Ä in Neukölln (Weserstr. 40).

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